Flüchtlinge : Integration – eine völlig unklare Aufgabe
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Reicht das? Willkommenskultur in Suhl in Thüringen. Bild: dpa
Ist Integration das Ergebnis von kreativem Anarchismus oder staatlicher Steuerung? Die Sorgen vor Ort legen den Gedanken nahe, dass sich die Antwort bald schon erübrigt hat.
Fritz Kuhn, der das Integrationsmodell Stuttgart regiert, hat einen ziemlich unverblümten Blick auf die Flüchtlingskrise: „Die Schwierigkeiten gehen jetzt erst los.“ Was es bedeute, eine Million Zuwanderer zu integrieren, sei eine „völlig unklare Aufgabe“, sagte der Grünen-Politiker auf einer Veranstaltung des Deutschen Städtetags. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), gab zu: Die Kommunen seien gar nicht in der Lage, zur Integrationsarbeit überzugehen, weil sie durch den permanenten Zuzug überlastet seien. „Wenn wir ehrlich sind, haben wir nicht Integration betrieben, sondern Obdachlosigkeit vermieden.“
Würde tatsächlich schon Integration betrieben, stünde schnell fest, dass Deutschland die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit längst überschritten hat. Besonders augenfällig ist das bei den Deutschkursen: Rechnet man die Zahl der Flüchtlinge und die nötigen Stunden hoch, die unterrichtet werden müssten, erreicht man eine Lehrerzahl, die jedes Maß sprengt – selbst wenn noch so viel Geld in die Integrationsmaßnahmen gepumpt wird. Ähnliches gilt für Integrationskurse, Kita-Ausbau und Ausbildungsplätze.
Ein zweites Problem beschäftigt Länder und Kommunen: Es gibt so viele Initiativen und Parallelstrukturen, dass sie den Überblick verloren haben. Daraus könnte der positive Schluss gezogen werden, dass Integration eben auch als produktives Durchwurschteln und kreativer Anarchismus funktioniere. Der negative Schluss: Die Aufgabe ist nicht nur „völlig unklar“, wie Kuhn sagt, sie ist Verwaltung und Politik längst schon entglitten.
Die Bundesregierung hat sich schon vorsorglich abgesichert: Sie teilte mit, sie erwarte, dass die meisten Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückkehren – die Bemühungen um deren Integration wurden dadurch relativiert. Was sollen die Städte aber tun? Derzeit ist noch nicht absehbar, dass der Zuzug begrenzt werden könnte. Manche Städte haben sich schon auf eine viel höhere Zahl von Migranten eingestellt, als vergangenes Jahr kamen. Selbst wenn aber der Zuzug begrenzt werden könnte, müsste sich einiges ändern, damit die Unterbringung, die alles dominiert, die Kommunen nicht daran hindert, die Integration bis auf weiteres voranzutreiben. Nur die Begrenzung des Familiennachzugs wird dafür nicht reichen.
Die Städte wollen deshalb eine bessere Verteilung der anerkannten Flüchtlinge, also der Asylbewerber, die ihr Verfahren hinter sich haben und eine Aufenthaltsberechtigung genießen. Vordringliches Ziel der Kommunen ist eine Wohnsitzauflage.
Gemeint ist damit, dass Flüchtlinge mit Aufenthaltsrecht, aber ohne Arbeitsplatz, die also von Sozialhilfe leben, ihren Wohnsitz zugewiesen bekommen. Es wäre die Fortsetzung der Residenzpflicht der Erstaufnahme. So sollen „französische Verhältnisse“ in deutschen Großstädten verhindert werden. Gemeint sind Banlieues, Problemviertel, Gettos.
Die entstehen aber längst – spätestens in diesem Jahr – dort, wo Tausende in Containerdörfern untergebracht sind. Schon jetzt drängen sich die Asylbewerber in den Ballungsräumen. Da die Verteilung der Flüchtlinge auch die ethnische Herkunft berücksichtigt, ballen sich einzelne Volksgruppen in bestimmten Städten, die dadurch auf Angehörige wiederum eine Sogwirkung ausüben. Der Protest mehrerer SPD-Ortsverbände in Essen („Genug ist genug“) zielte genau darauf: Es könne nicht sein, begründeten sie ihre Initiative, dass Flüchtlinge ausgerechnet dort vorzugsweise untergebracht würden, wo der Anteil von Ausländern ohnehin schon hoch ist – während andere Viertel mit geringem Migrantenanteil „verschont“ würden.