Harte Bretter : Wahlkampf ist nicht öde
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Lügen tun immer nur die anderen: Wahlkampf in Schleswig-Holstein Bild: dpa
Wahlkampfmuffel haben eine Tendenz zum Obrigkeitsstaat. Sie halten Wähler für Stimmvieh und Politiker für Absolutisten. Beides ist falsch. Erst recht in Zeiten der Schuldenbremse.
Wahlkämpfe können sein, wie sie wollen, sie sind immer die falschen. Gibt es keine „großen“ Themen, heißt es, sie seien öde und langweilig. Gibt es große Themen, heißt es, die Leute würden für dumm verkauft, denn es gebe schließlich wirklich wichtigere Themen als jene. Werden im Wahlkampf aber wichtige Themen behandelt, heißt es, solche Themen seien viel zu wichtig, als dass sie im Wahlkampf behandelt werden dürften. Werden die wichtigen Themen aber außen vor gelassen, heißt es wieder, selten sei ein Wahlkampf langweiliger gewesen als dieser. Und so weiter.
Entweder haben solche Kritiker sich Wahlkämpfe nie aus der Nähe angesehen, oder sie haben grundsätzlich etwas gegen Wahlkämpfe. Denn in Wahlkämpfen geschieht all das, was meist dieselben Kritiker vermissen, wenn der Wahlkampf erst einmal vorbei ist: Politiker kommen mit Bürgern zusammen; sie stellen sich Diskussionen, stehen in Fußgängerzonen, gehen von Tür zu Tür, sitzen in Gaststätten oder Vereinslokalen und warten darauf, mit ihren Wählern ins Gespräch zu kommen, man könnte auch sagen: von ihren Wählern zur Rede gestellt zu werden.
Der einfache Kandidat hat da gewiss bessere Möglichkeiten und Angebote als die Kanzlerin, und sicherlich ist nicht (immer nur) das Gespräch der Grund für die Begegnungen, sondern der „Stimmenfang“. Doch wer von mehr „Bürgerbeteiligung“ träumt und nicht einmal die Möglichkeiten und Realitäten des Wahlkampfes sieht, hat ein grundsätzliches Problem.
Dieses Problem äußert sich im Vorwurf, Wahlkämpfe seien nichts anderes als Instrumente der Parteiendemokratie zur Beeinflussung der Wähler, nichts weiter als Inszenierungen, Kampagnen, Propaganda. Und da gelte: Propaganda lügt. Obendrein komme „ernsthafte“ Politik währenddessen zum Erliegen. Schon deshalb sei der beste Wahlkampf der, der gar nicht erst stattfinde.
Vom Wähler hat diese Kritik keine hohe Meinung. Er soll sich zwar, wenn schon nicht immer, dann wenigstens vor Wahlen für Politik interessieren; doch wird ihm nicht zugetraut, Politik auch zu verstehen, zu durchschauen, zu „hinterfragen“. Er ist „Stimmvieh“, dieses Mal aber nicht aus der zynischen Sicht eines Wahlkampfleiters oder Politikers, sondern aus der ebenso zynischen Sicht des verdrossenen Betrachters, der für sich beansprucht, alles schon zu wissen, jeden schon zu kennen, nichts Neues mehr zu sehen.
Willensbildung, deren vornehmster Ausdruck in Demokratien Wahlen und Abstimmungen sind, ist für den notorischen Wahlkampfmuffel nicht das Ergebnis eines Wettbewerbs, nicht Austausch zwischen verantwortungsvollen Politikern und selbständigen Bürgern, sondern Ergebnis der Täuschung unselbständiger Werkzeuge in der Hand machtversessener, bestenfalls demoskopiegesteuerter Technokraten. Es ist im Kern ein obrigkeitsstaatliches Bild der Öffentlichkeit, das sich dahinter verbirgt. Wer Wahlkämpfe so schlechtredet, kann jedenfalls über Demokratie nicht viel besser denken.
Die Kritiker konnten bislang allerdings ins Feld führen, dass Wahlkämpfe nicht ohne teure Geschenke auskommen, die sprichwörtlichen Wahlgeschenke für Hoteliers und andere, auf die immer noch jemand hereingefallen ist, ja hereinfallen wollte, zum Beispiel Hoteliers, weil es dem jeweiligen Klientelinteresse entsprach. Wer dagegen in den Wahlkampf zieht und nur Heulen und Zähneklappern verspricht, der sagt vielleicht die Wahrheit, erfüllt aber die Erwartungen nicht und läuft deshalb Gefahr, dass aus der Willensbildung eine Widerwillensbildung wird.
Doch Heulen und Zähneklappern stehen neuerdings in der Verfassung - und heißen Schuldenbremse. Der Finanzierungsvorbehalt, der bislang zum Kleingedruckten von Koalitionsverträgen gehörte, ist damit zu einer Dauereinrichtung geworden, die Geschenken und Versprechen enge Grenzen setzt. Jedenfalls zwingt sie der Glaubwürdigkeit wegen zu Prioritäten und erhöht den Rechtfertigungsdruck.
Die Wahlkämpfe, die derzeit in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen geführt werden, sind die ersten, die damit umgehen müssen, und die ersten, die daraus ein Thema gemacht haben. In beiden Ländern sind CDU und FDP als Anwälte der Schuldenbremse in den Wahlkampf gezogen. In beiden Fällen gegen eine Partei, die SPD, die zwar die Schuldenbremse mit beschlossen hat, aber ihren Frieden damit noch nicht schließen konnte. Das Gegenmodell der SPD lautet: Wo weniger ausgegeben werden darf, muss mehr eingenommen werden.
Das hört sich besser an als „Schuldenbremse“. Verspricht die SPD dann noch, nur zu versprechen, was man auch halten könne, klingt es fast schon so, als sei alles wie früher. Die Wahlkampfstrategie der CDU tut sich damit immerhin so schwer, dass sie zu dem Ergebnis kommen könnte, mit der Verteidigung der Schuldenbremse allein sei im Wahlkampf kein Blumentopf zu gewinnen.
Darin eine Bestätigung der Kritik an Wahlkämpfen zu sehen geht in die Irre. Denn auch ohne dass es zum „Thema“ gemacht wird, hat jeder Wahlkampf nun ein großes, wichtiges, ganz und gar nicht langweiliges Thema, ob die Parteien es wollen oder nicht. Der Gewinner ist der Wähler.