Terroranschläge : Wenn der Staat ein Schwächling ist
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Weg damit! Jugendliche in Nørrebro, zum Teil vermummt, beseitigen am Montag nach den Anschlägen die Blumen, die an der Stelle niedergelegt wurden, wo Polizisten den Attentäter von Kopenhagen gestellt und erschossen hatten. Das sei nicht mit dem Islam vereinbar, begründeten die Jugendlichen ihre Aktion. Einer der Jugendlichen sagte, der Mann sei kein Terrorist gewesen. Der wahre Terrorist sei Dänemark. Bild: dpa
In Skandinavien ist der Staat einerseits allgegenwärtig, andererseits aber gar nicht mehr vorhanden. Nach den Anschlägen von Kopenhagen stellt sich die Frage: Sieht so das Sozialamt des Dschihadismus aus?
Nach Terroranschlägen wie denen in Paris oder Kopenhagen ist ein erstaunliches Phänomen zu beobachten: Die Gesellschaften, die unter dem Terror zu leiden haben, lernen Dinge über sich, die sie vorher nicht wussten oder die sie nicht wahrhaben wollten. Anlass dafür ist die Frage nach den Ursachen: Wie war das möglich? Was treibt junge Leute dazu, im Namen einer Religion oder Ideologie Amok zu laufen? Grob gesagt, lassen sich die Antworten in zwei Gruppen einteilen. Die eine sieht die Gründe für den Gewaltausbruch in der eigenen Gesellschaft, die andere in fremden Gesellschaften. Aus dem Blick gerät dabei, dass es darüber hinaus noch einen Staat gibt, besser gesagt: nicht gibt. Franzosen und Dänen erfuhren nach den Attentaten nämlich, dass es diesen Staat mancherorts gar nicht mehr gibt und dass er deshalb nicht die Rolle spielen kann, die er spielen sollte.
In Frankreich bezieht sich der Rückzug des Staates auf die „Banlieue“, in die sich nicht einmal mehr der Postbote wagt, geschweige denn Polizisten. In Dänemark bezog sich das Staatsversagen auf den „multikulturellen“ Stadtteil Nørrebro mitten in der Hauptstadt, in dem der mutmaßliche Attentäter aufgewachsen war und in dem sich über Jahre hinweg Straßenbanden bekriegten. El-Hussein, der mutmaßliche Terrorist, Sohn palästinensischer Flüchtlinge, war selbst Mitglied einer muslimischen Gang, noch während seiner Schulzeit, die er erfolgreich hätte abschließen können, wenn er nicht in die Bandenkriminalität abgeglitten wäre. Weil er zu „unberechenbar“ war, schloss ihn die Gruppe, die sich „Brothas“ nannte, wieder aus.
Interessant ist die Begegnung mit dem Soziologen Aydin Soei, der Mitglieder von „Brothas“ vor sechs Jahren traf, unter anderem auch El-Hussein. Soei begleitete dänische Sozialarbeiter und erlebte so auch die Begegnung von Bandenmitgliedern mit einem Sozialarbeiter aus Chicago, der selbst dort Mitglied einer Straßengang gewesen war. Darüber berichtete Soei jetzt in einem längeren Beitrag für die dänische Tageszeitung „Politiken“. Zur Überraschung der Dänen ging der Amerikaner mit den Jugendlichen hart ins Gericht. „Ihr macht andere zu euren Feinden, die vor genau denselben Herausforderungen stehen wie ihr“, zitiert Soei den Mann. Weiter sagte der Amerikaner: „Ihr schafft euch Feindbilder und gebt anderen die Schuld für alles, obwohl ihr in einer völlig anderen Gesellschaft lebt als die, in der ich aufgewachsen bin. Ihr lebt in einer Gesellschaft, in der ihr wirklich die Chance habt, euch ein gutes Leben zu verschaffen.“
Soei zog daraus den Schluss, dass die Bildung von Subkulturen verhindert werden müsse, die jahrelang „gesund und munter existierten“ und von der Mehrheitsgesellschaft nur als Problem wahrgenommen würden, wenn es zu Gewaltausbrüchen komme. Das sei aber nur die Spitze eines Eisbergs. Woraus besteht aber dieser Eisberg? In Nørrebro, mitten in Kopenhagen gelegen, gehörten solche Gewaltausbrüche zum Alltag, ohne dass dem dänischen Staat vorgeworfen worden wäre, er habe versagt, müsse offensiver sein.