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Beschneidung - Pro und Contra : Ein Verbot wäre unverhältnismäßig

Bild: Wahl, Lucas

Ein generelles Verbot von Beschneidungen wäre unverhältnismäßig und deshalb unzumutbar. Doch das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist für den Rechtsstaat mindestens so elementar wie Glaubenssätze für die Religion.

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          Niemand wird ernsthaft geglaubt haben, dass sich das Verbot der Beschneidung von Minderjährigen, wie es das Kölner Landgericht ausgesprochen hat, hierzulande generell durchsetzen lässt. Es ist schlicht unverhältnismäßig und unzumutbar, dass die muslimischen und jüdischen Gemeinden auf einen Glaubensinhalt verzichten sollen, der zumindest im Fall des jüdischen Glaubens mehr ist als nur die Pflicht zur religiösen Sitte oder noch weniger, pures Brauchtum.

          Jasper von Altenbockum
          Verantwortlicher Redakteur für Innenpolitik.

          Es bedeutete für viele Juden, dass sie ihren Glauben in Deutschland nicht mehr praktizieren können und, wenigstens zeitweise, ins Ausland ausweichen müssten - oder ihren Glauben illegal praktizieren. Daran kommt keine noch so gute Begründung des Kölner Urteils vorbei und keine noch so „aufgeklärte“ Religionskritik gegen „archaische Barbarei“. Unter dem Eindruck solcher Kritik nimmt die Debatte über die Beschneidung fundamentalistische Züge an, die durch Standpauken über „Religion, Männlichkeit, Sexualität“ unnötig aufgeladen wird. 

          Es bleibt aber dabei, dass es sich bei der Beschneidung um eine nicht zu bagatellisierende Körperverletzung handelt, die weder durch die Berufung auf den Elternwillen noch durch die Religionsfreiheit - und auch nicht mit dem Hinweis auf den Holocaust - einfach beiseite gewischt werden kann. Der Weg zur Rechtssicherheit lässt sich deshalb nicht einfach dadurch herstellen, dass Deutschland auf ein Urteil aus Karlsruhe wartet, in dem diese Rechtsgüter gegeneinander ausgespielt werden und am Ende das Recht auf körperliche Unversehrtheit relativiert wird.

          Denn für den Rechtsstaat ist dieses Recht mindestens ebenso elementar ist wie Glaubensinhalte für Religionen. Wo wäre dann die Grenze, die gezogen werden müsste, um andere Körperverletzungen im Namen der Religion weiterhin zu verbieten oder doch noch zuzulassen? Entscheidet dann, wie viele Jahrtausende alt eine Tradition ist? Soll es dann nach der Abtreibung weitere Zonen der Rechtswidrigkeit geben, die aber straffrei bleiben? Ist eine solche Verlegenheitslösung für eine Religionsgemeinschaft zumutbar?

          Wie vieles in Recht und Rechtswirklichkeit ist auch dies eine Sache der Verhältnismäßigkeit. Die Beschneidung eines Jungen ist nicht eine Genitalverstümmelung wie bei Mädchen. In vielen Fällen ist sie auf eine Weise medizinisch geboten, dass sie in Ländern wie Amerika fast schon üblich geworden ist - unter Narkose und mit einer gewissenhaften Nachversorgung, von der in Köln nicht die Rede sein konnte.   

          Worin eine gesetzliche Regelung bestehen könnte, deutete die Bundesregierung jetzt an. Eine „verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidung“ könnte demnach eine Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Elternwille gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit erleichtern. Eine Beschneidung wie die in Köln, die Komplikationen nach sich zog, die von den Eltern bei rechtzeitiger Behandlung hätten vermieden werden können, sollte dann auch in Zukunft verboten werden.

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