Parteitag der Grünen : Eine Partei, zwei Welten
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Robert Habeck am Freitag in Berlin Bild: EPA
Auf ihrem Bundesparteitag gönnen sich die Grünen viel Selbstlob, es gibt Blumen und vereinzelt fließen gar Tränen der Rührung. Andere zeichnen in ihren Beiträgen eine ganz andere Wirklichkeit.
Der Parteitag der Grünen am Freitag und Samstag im Berliner Velodrom teilte sich in zwei Welten. Die eine war heil. Hier lobten die Redner wieder und wieder die Erfolge der vergangenen Jahre: Wie weit sei die Partei gekommen – die Mitgliederzahl in vier Jahren fast verdoppelt, Rekordergebnisse bei Landtags- und Europawahlen und ja, auch bei der Bundestagswahl. Und jetzt Teil der Bundesregierung, also Aufbruch, Fortschritt. Die scheidenden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck bekamen bunte Tulpen, die ihre Köpfe schon leicht geöffnet hatten. Claudia Roth hielt die Laudatio auf Baerbock, zitierte allerlei Musiktitel, der ehemaligen Kanzlerkandidatin liefen die Tränen in die Maske.
Das Motto war „Wurzeln für die Zukunft“, denn natürlich denken die Grünen nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Omid Nouripour, der am Samstag mit einem guten Ergebnis von 82,5 Prozent zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde, versprach, alles dafür zu tun, dass die Grünen auch beim nächsten Mal bei der „K-Frage“ mitspielten. Nouripour streichelte die Seele der Partei auch mit Sätzen wie diesem: „Wir sind die Unbeugsamen“. Auch Ricarda Lang, die mit einem etwas schlechteren Ergebnis als Nouripour zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, ist Meisterin in dieser Kunst.
Die Frau, die wegen ihrer Körperfülle im Netz angefeindet wird, sagte coronabedingt in die Kamera: „Ich sehe aus, wie ich aussehe. Und ich bin verdammt stolz, Politik in einer Partei zu machen, in der nichts davon drüber entscheidet, was mir politisch zugetraut wird.“ Delegierte klickten zuhauf auf den Button, der Sonnenblumen und Herzen über den Bildschirm fliegen lässt. Die Grünen sind nicht nur eine Partei mit „idealistischem Überschuss“, wie Habeck neulich formulierte. Politik hat für die meisten Grünen eine emotionale Komponente. Jeder Grüne kann seine Geschichte erzählen, die ihn in die Partei gebracht hat. Parteitage werden als Familientreffen beschrieben. Dass sie derzeit nur digital stattfinden können, schmerzt deshalb besonders.
Aber es gibt auch Grüne, denen diese Mischung aus Selbstlob und Gefühligkeit widerstrebt – vor allem dann, wenn sie die Realität außer Acht lässt. Und so waren am Wochenende Verfremdungseffekte im Sinne des epischen Theaters nach Bertolt Brecht zu beobachten, die allesamt das Ziel hatten, die Illusionen der Parteifreunde zu stören. Das war die zweite Welt. Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident, ist in dieser Rolle bereits erprobt. Am Freitagabend sprach er harte Wahrheiten in die Kamera: Die Partei habe sich beim Bundestagswahlkampf „zu klein gemacht“.
Er rief die Partei dazu auf, „aus den Fehlern zu lernen“ – auch wenn man damit „nicht Mitarbeiter des Monats“ werde. „Wir müssen unsere Veränderungsbotschaft noch stärker durch ein Sicherheitsbotschaften ausbalancieren“, forderte er. Für alle wichtigen Felder in der Politik müssten die Grünen die Richtung vorgeben. Kretschmann hatte schon in der Vergangenheit von einer „krachenden Niederlage“ bei der Bundestagswahl gesprochen. Er ist der Überzeugung, dass man aus Fehlern nicht lernen könne, wenn diese nicht aufgearbeitet würden.
Während die CDU bereits eine 64 Seiten lange Analyse der Bundestagswahl angefertigt hat, ist bei den Grünen in dieser Hinsicht noch nicht viel passiert. Und auch auf dem Parteitag verhallte Kretschmanns Aufforderung. Dabei hatten auch einige Basismitglieder in einem Antrag gefordert, eine Arbeitsgruppe für die Aufarbeitung des Bundestagswahlkampfs einzusetzen. In der Begründung des Antrags ist die Rede davon, dass die Differenz zwischen dem Wahlergebnis und den zwischenzeitlichen Umfragewerten zu „Ernüchterung oder gar Enttäuschung“ geführt habe. Robert Habeck hielt die Gegenrede: Aufarbeitung ja, aber dazu brauche es keine Arbeitsgruppe, das sei Aufgabe der neuen Parteispitze. Doch muss sie sich auch um vieles andere kümmern, vor allem darum, den Unmut der Basis über schmerzhafte Kompromisse abzufangen. Eine Arbeitsgruppe aber wird es nicht geben, der Antrag wurde abgelehnt.
Diskussion um den Parteihaushalt
Am Samstagmorgen ging es direkt weiter mit den unschönen Wahrheiten. Es ging um den Parteihaushalt, eigentlich ein technisches Thema. Doch schon im Wahlkampf schlugen die Wellen hoch wegen der Corona-Zahlungen von 1500 Euro, die sich der Parteivorstand auch selbst bewilligte, zudem damals neben Habeck und Baerbock auch Lang und Bundesschatzmeister Marc Urbatsch gehörten. Und nun ist es wieder ein Thema, weil die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Das ist besonders ärgerlich in einer Partei, die in der Pandemie öffentlich so sehr mit Menschen in Kurzarbeit und den Solo-Selbstständigen gelitten hatte.
Eine Delegierte aus Gelsenkirchen sagte, sie wolle den Vorstand für den Haushalt 2020 nicht entlasten, solange die Fehler nicht aufgeklärt seien. Urbatsch verteidigte die damalige Entscheidung nicht. „Klar ist: Mit dem Wissen von heute würden wir einen solchen Beschluss nicht mehr fassen“, sagte er. Parteiinterne Kritik bezeichnete er als berechtigt. Ein bisschen Selbstmitleid kam dann aber auch: „Das Thema dreimal behandeln zu müssen, ist politische Höchststrafe“, sagte Urbatsch. Die Anwälte hätten geraten, zum laufenden Verfahren möglichst wenig zu sagen. Das sollte wohl erklären, warum Grüne auf die Frage nach den Zahlungen mit immer derselben nichtssagenden Formulierung – „Sachverhalt bekannt, Kooperation mit den Behörden“ – antworten. Am Samstag ging die Sache glimpflich aus. Der Vorstand wurde entlastet und Urbatsch mit 66,9 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Kurz nach der Debatte über den Haushalt wurde es schon wieder ungemütlich. Es ging um die Änderung der grünen Satzung, was wieder technisch klingt, aber für Grüne ein äußerst sensibles Thema ist. Nach den Regeln der Partei genügen zwanzig Mitglieder, um auf Parteitagen einen Antrag zu stellen. Weil man das mittlerweile per Klick im Internet erledigen kann, ist die Anzahl der Anträge auf Parteitagen stetig gestiegen. Zum Bundestagswahlprogramm, über das ein Parteitag im Juni diskutiert hatte, gab es mehr als 3300 Änderungsanträge.
Klartext am Samstagmorgen
Am Samstagmorgen wurde hier Klartext gesprochen, aber die Rollen diesmal anders verteilt: Einfache Parteimitglieder besangen die basisdemokratische Kultur der Grünen, Baerbock und Habeck bemühten sich, die Seifenblasen zum Platzen zu bringen. Seit zwei Jahren schon diskutieren die Grünen über eine Erhöhung dieses Quorums. Die scheidenden Vorsitzenden wollten ihren Nachfolgern eine geordnete Partei hinterlassen. Sie wollten das Quorum für eigenständige Anträge auf 0,1 Prozent der Mitglieder angeben – was bei der derzeitigen Mitgliederzahl gut 120 Personen entspricht. Nun es an der Zeit, dass die Partei „erwachsen“ wird, sagte Habeck. Baerbock argumentierte, dass diese vielen Anträge doch sowieso niemand lese: „Das ist keine Basisdemokratie, sondern Scheindemokratie.“ Sie erinnerte daran, dass die Zahl von zwanzig Antragstellern aus der Anfangsphase der Partei stammt. Damals seien zwanzig rund 0,1 Prozent der Mitglieder gewesen. Außerdem habe man „von Tür zu Tür“ gehen müssen, um für Unterstützung zu werben. Die Partei brauche „eine Beteiligung auf der Höhe der Zeit“.
Doch die klare Ansage beider Vorsitzenden prallte an der Basis ab. Schon in der ersten Abstimmung fiel der Vorschlag des Bundesvorstands durch. In der Debatte zu diesem Thema machten zahlreiche Basismitglieder aus ihrem Unmut keinen Hehl. Nabiha Ghanem aus Soest fürchtete, der Partei werde durch die geplante Änderung ihre „Einzigartigkeit geraubt“, Yvonne Plaul aus Lübeck argumentierte, dass die meisten Anträge von Gremien und nur sehr wenige von kleinen Personengruppen gestellt worden seien. Hannah Heller aus Speyer lobte „die guten Ideen der Kommunalis, die mitten im Leben stehen“, die Grünen lebten „durch das Mitmachen“. In der Kommentarleiste auf der Website des Grünen-Parteitags fanden sich ebenfalls viele Einwände gegen eine Änderung und Lobgesänge auf die grüne Basisdemokratie.
Am Ende beschloss der Parteitag immerhin eine Erhöhung des Quorums auf 50 Parteimitglieder. Robert Habeck hat vor der finalen Abstimmung noch mal alles gegeben. Es ist ihm ernst damit und für eine Änderung der Satzung ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Delegierten nötig. Durch die Änderung werde die Basisdemokratie nicht geschwächt, sondern die Relevanz der Anträge erhöht, versicherte Habeck. Die Diskussion in der Partei dürfe für eine zu niedrige Schwelle nicht lahmgelegt werden. Das überzeugte dann doch genügend Grüne. Drei Viertel der Delegierten stimmten am Ende zu.
Doch mehr war dann nicht drin. Baerbock und Habeck hätten die Satzung gern noch an anderer Stelle geändert, fanden dafür aber nicht die erforderliche Mehrheit. Sie wollten Ortsmitgliederversammlungen das Recht nehmen, Anträge auf Parteitagen zu stellen, dazu sollten lediglich die höhere Ebenen der Kreismitgliederversammlungen berechtigt sein. Aus Sicht der scheidenden Vorsitzenden ergibt sich die Notwendigkeit ebenfalls aus dem Wachstum der Partei. Doch Philipp Schmagold aus Plön, ein in den vergangenen Jahren äußerst aktiver Antragsteller auf Parteitagen, rief in seine Kamera: „Seid solidarisch mit den Ortsverbänden.“ Wenn es um Solidarität geht, wollen die Grünen aber nun wirklich nicht wackeln.