
Schuldenkrise : Griechenland ist kein Fass ohne Boden
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Für einen Finanzminister ist der Rucksack ungewöhnlich - doch das Geld der Gläubiger trägt Euclid Tsakalotos damit ganz bestimmt auch nicht weg. Bild: dpa
Versickert der europäische Geldregen in Griechenland wirkungslos? Nein, Griechenland ist kein schwarzes Loch. Der mit Abstand beliebteste Topos all jener, die weitere Hilfen ablehnen, ist falsch.
Wer hat eigentlich das Fass ohne Boden erfunden? Natürlich, es waren die Griechen. Die Töchter des Danaos hatten ihre Ehemänner gemeuchelt und mussten dann bis in alle Ewigkeit Wasser in ein durchlöchertes Fass schöpfen. In ihrer modernen Variante wird die Geschichte etwas anders erzählt: Die Europäer überschütten den griechischen Staat seit Jahren mit Milliarden und wundern sich dann, dass alles Geld wirkungslos versickert. Griechenland als Fass ohne Boden – das ist der mit Abstand beliebteste Topos all jener, die weitere Hilfen ablehnen. Allerdings verhält es sich damit wie mit der antiken Erzählung: Die Geschichte ist ein Mythos. Mythen mögen ihre eigene Wahrheit haben, man darf sie aber nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
Blicken wir also mal in das Fass namens Griechenland. Die Geldgeber, der Euro-Schutzschirm ESM und vielleicht auch der IWF, wollen in den nächsten drei Jahren 86 Milliarden Euro hineinkippen. Der größte Teil dieser Summe, 54 Milliarden, dient dazu, griechische Schulden zu tilgen und Zinsen für Anleihen zu zahlen. Versickert dieses Geld im Nirgendwo?
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Mehr erfahrenNein, es wechselt größtenteils nur die Tasche der Gläubiger: von links nach rechts. Der ESM übernimmt Verbindlichkeiten, die Griechenland bisher gegenüber der Europäischen Zentralbank hatte. An beiden Institutionen halten die Eurostaaten dieselben Anteile. Und der IWF könnte im Herbst neues Geld überweisen, mit dem Athen dann alte IWF-Kredite ablöst. Im Grunde werden hier nur Schulden umgewälzt – wie es alle Staaten tun. Die Geldgeber sorgen selbst dafür, dass ihre früheren Kredite und Anleihen bedient werden. Man darf deshalb keinesfalls die Summen der Rettungspakete zusammenzählen, um zu ermitteln, wie viel Geld die Europäer schon in Hellas versenkt haben. Denn mit jedem neuen Hilfspaket wird ein Teil der früheren Pakete zurückgezahlt.
Wenn die Rettungsgegner behaupten, gutem Geld werde schlechtes hinterhergeworfen, können sie damit nur die gut dreißig Milliarden Euro meinen, die Athen an „frischem“ Kapital bekommt. In dem Vorwurf schwingt mit, dass eine linksradikale Regierung bedenkenlos verbrät, was Steuerzahler andernorts sauer erarbeitet haben. Doch der Betrag, über den Alexis Tsipras überhaupt verfügen kann, ist viel kleiner. Knapp acht Milliarden fließen in den Staatshaushalt, um eine Barreserve zu bilden. Betonung auf Reserve. Tsipras darf damit nicht einfach seine Wähler beglücken. In den nächsten Jahren steht jede Ausgabe unter einem Veto der Geldgeber. Sie werden alle drei Monate prüfen, ob Athen die ambitionierten Sparauflagen einhält. Davon hängt dann jeweils ab, ob die nächste Rate fließt. Kein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union hat bisher einen so tiefen Eingriff in seine Entscheidungsgewalt ertragen müssen.
Ein bisschen Schwund ist immer
Bleibt ein letzter Einwand der Kritiker: Wer glaubt schon, dass Griechenland je seine Schulden begleicht? Die rhetorische Frage legt die Antwort nahe – niemand. Das gilt aber nur für den Extremfall, dass das Land jeden Cent zurückzahlt. In Wahrheit geht es nicht um alles oder nichts, sondern um mehr oder weniger. Nämlich: Wie viele Schulden kann Griechenland ertragen? Darum werden die Geldgeber untereinander und mit Athen im Herbst ringen. Es muss weitere Erleichterungen geben, so viel ist allen klar. Faktisch wird den Griechen ein Teil ihrer Verbindlichkeiten erlassen werden. Das ist aber nur die eine Seite.
Die andere: Athen wird mit dem neuen Treuhandfonds erstmals direkt Schulden abstottern. Er soll gut sechs Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren durch den Verkauf oder das Verpachten von Staatsbesitz einnehmen. Über die gesamte Laufzeit der Kredite, zwanzig bis dreißig Jahre, sollen es sogar fünfzig Milliarden sein. Das ist ein politisches Ziel. Um es zu erreichen, müsste sich die wirtschaftliche Lage schon sehr günstig entwickeln, Investoren aus aller Welt müssten Schlange stehen. Doch selbst wenn am Ende nur die Hälfte zusammenkommt, hätte Griechenland das Kapital komplett zurückgezahlt, das die Geldgeber jetzt in die Banken des Landes pumpen.
Das Bild vom Fass ohne Boden taugt nicht, um diese Zusammenhänge zu beschreiben. Es reicht ja schon ein einziges Loch im Fass – am Ende ist trotzdem alles versickert. Griechenland ist dagegen eher wie ein Fass, in dem der Winzer seinen Rotwein ausbaut. Das Holz saugt Wein auf, ein Teil verdunstet. Ein bisschen Schwund ist immer. Doch der Winzer trauert nicht dem Wein nach, den er verliert. Er arbeitet daran, dass der Rest, der im Fass bleibt, durch den Austausch mit der Luft reift und feinere Aromen entwickelt.
Bei Griechenland wird dieser Reifeprozess lange dauern und viel Arbeit erfordern. Es kann Rückschläge geben wie in diesem Jahr. Und es muss auch kein Spitzen-Burgunder herauskommen. Trotzdem gilt: Belohnt wird am Ende nur, wer geduldig ist.