Ausgrabungen in Mainz : Kopflose Göttin und ein Massengrab
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Am Kalbskopf sollst du sie erkennen: Statue der Göttin Salus Bild: Samira Schulz
Für Archäologen lohnt sich die Neustadt in Mainz. Die Baustellen liegen so dicht beisammen, dass sich für die Archäologen eine große zusammenhängende Fläche ergibt. Dort finden sich viele Relikte aus der Römerzeit. „Exzeptionelle Skulpturen“ inklusive.
Auf der Liste der meistverwendeten Wörter hat „Hotspot“ in diesem Jahr einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Dieser Tendenz verweigert sich auch Marion Witteyer nicht – doch wenn die Landesarchäologin davon spricht, bezieht sie sich nicht aufs Coronavirus, sondern auf die Schatztruhen, als die sich Baugruben in der Landeshauptstadt für sie und ihre Mitstreiter immer wieder erweisen. Und in dieser Beziehung sei die Mainzer Neustadt ein echter Hotspot, berichtete sie beim in einer virtuellen Pressekonferenz vorgestellten Jahresbericht der Denkmalpflege.
Der Vorteil des Gebiets nördlich der Kaiserstraße im Vergleich zu Altstadt: Die derzeitigen Baustellen vor allem am ehemaligen Zollhafen liegen dort so dicht beisammen, dass sich für die Archäologen eine große zusammenhängende Fläche ergibt. Daraus lassen sich Erkenntnisse über die Siedlungsstruktur aus römischer Zeit gewinnen, „wie wir sie in der Altstadt, wo wir nur noch Mosaiksteinchen bearbeiten können, nie mehr gewinnen werden“, erläutert Witteyer. Während man vom älteren Teil der Stadt nicht mehr sagen könne, wie die Viertel in der Antike ausgesehen haben, seien in der Neustadt „echte Quartiere mit Plätzen und Straßen“ zum Vorschein gekommen.
„Exzeptionelle Skulpturen“
Ein besonderer Fund gelang den Mitarbeitern der Generaldirektion Kulturelles Erbe auf einem Grundstück zwischen Rheinallee und An den Grachten: In einem massiven Schuttpaket aus Ziegelkleinschlag und Mörtel stießen sie auf zwei „exzeptionelle Skulpturen“ (Witteyer). Dass es sich bei einer Statue, die bis auf den Kopf und anderthalb Arme vollständig erhalten war, entgegen der ersten Vermutung nicht um eine „Venus von Mainz“ handeln konnte, ließ sich aus dem Kalbskopf schließen, auf dem der linke Fuß ruhte – die Göttin der Liebe und der Schönheit wurde üblicherweise in Verbindung mit einer Schildkröte dargestellt.
Eine „Schwesterstatue“ im römisch-germanischen Zentralmuseum in Köln, an der sich zusätzlich eine Schlange nach oben windet, brachte die Wissenschaftler auf den richtigen Weg: Bei ihrem 1,50 Meter großen Fund handelt es sich um eine Darstellung der Heilgöttin Salus. Ob Salus oder Venus: Hauptsache Hüftschwung – und von dem schwärmt Witteyer. Wie Stand- und Spielbein der aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus stammenden Gottheit herausgearbeitet seien, zeuge von hoher kunsthandwerklicher Qualität. „Deutlich höher als in Köln. Vor allem der Faltenwurf sucht seinesgleichen.“
Doch nicht nur Funde aus der Römerzeit versetzten die Fachleute in Aufregung. Auf der Nordmole stießen sie im ablaufenden Jahr auf das zum Rheingauwall der Mainzer Festung gehörende Cavalier Pritzelwitz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und am Fort Gonsenheim legte ein Baggerfahrer ein Massengrab frei – die Untersuchungen ergaben, dass dort napoleonische Soldaten bestattet worden waren, die in der Leipziger Völkerschlacht gekämpft hatten und nach ihrer Rückkehr nach Mainz im Herbst 1813 starben. Bei dem, was die Franzosen als „Typhus de Mayence“ bezeichneten, handelte es sich um Fleckfieber, erläuterte Witteyer die Todesursache, „übertragen wurde es durch die Kleiderlaus“.