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Gentests an Embryonen : Du sollst nicht töten

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Noch ist der Ausgang der Abstimmung über die gesetzliche Handhabung der Präimplantationsdiagnostik offen, wie die Bundestagsdebatte in dieser Woche gezeigt hat. Eines ist aber schon jetzt klar: Enthaltung verbietet sich. Sie käme einer Selbstaufgabe der Politik gleich.

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          In wenigen Wochen werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages darüber entscheiden, ob der annähernd zwanzig Jahre geltende Rechtszustand wiederhergestellt wird, wonach es in Deutschland verboten ist, künstlich erzeugte menschliche Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib auf bestimmte unerwünschte Merkmale hin zu untersuchen – oder ob die Präimplatationsdiagnostik (PID) wie in nahezu allen anderen europäischen Ländern auch hierzulande legalisiert wird.

          Noch ist der Ausgang der Abstimmung offen, wie die Bundestagsdebatte in dieser Woche gezeigt hat. Weit mehr als zweihundert Abgeordnete haben einen der beiden Anträge unterschrieben, die mehr oder weniger enggefasste Ausnahmen vom Verbot der PID vorsehen; weit weniger tragen die strikte Verbotsregelung. Die mehr als dreistündige Debatte über die drei konkurrierenden Gesetzentwürfe diente daher auch dem argumentativen Werben um die Stimmen der annähernd 180 Abgeordneten, die sich noch nicht innerlich oder öffentlich festgelegt haben.

          Doch woran sollen diese sich orientieren, wenn sie von ihren Fraktionen auf ihr Gewissen verwiesen werden und auch das oft bemühte christliche Menschenbild für die Bildung eines sittlichen Urteils in diesem Grenzfall keine eindeutigen Fingerzeige gibt? Wie schon bei der ethischen Beurteilung der Abtreibung und der Vernichtung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen, so lassen sich auch hier die Positionen des Lehramts der katholischen Kirche und das Meinungsspektrum in der evangelischen Kirche nicht auf einen „christlichen“ Nenner bringen.

          Wie aber dann zu einer Entscheidung kommen, die vor dem Forum des eigenen Gewissens wie vor dem der Gesellschaft und nicht zuletzt vor dem der Rechtsordnung Bestand haben kann, wenn keine der klassischen „Ligaturen“ von der Religion bis hin zu lebensweltlich verbürgten Gewissheiten noch jene Bindekraft entfaltet, die einst die Grundlinien der politischen Meinungsbildung präformierte? Enthaltung verbietet sich. Es käme der Selbstaufgabe der Politik gleich, weigerte man sich, in einen methodisch abgesicherten ethischen Diskurs einzutreten – sei es, weil sich die Komplexität des Sachverhaltes vermeintlich den Regeln der Normbegründung entzieht, sei es, weil jede Ethik im Verdacht steht, nur zu denjenigen Ergebnissen zu führen, die in der Konstruktion der argumentativen Prämissen grundgelegt wurden.

          Emotionale Komponente, die Mitleiden entspringt

          Eine dieser geradezu klassischen Fallen, der Schluss vom Sein auf das Sollen, funktioniert indes auch in entgegen gesetzter Richtung: Dass aus der schieren Möglichkeit des Handels um eines sittlichen Gutes oder Wertes willen schon eine Verpflichtung zum Handeln erwächst. So würde etwa durch PID ein Schwangerschaftskonflikt mit der Folge der Tötung eines Fötus dadurch verhindert, dass man ihn durch Tötung unerwünschter Embryonen gar nicht erst entstehen lässt.

          Diesem vermeintlichen Imperativ liegt indes kein sittliches Urteil zugrunde, sondern nur eine moralische Intuition. Diese enthält stets eine starke emotionale und daher auch motivationale Komponente, zumal dann, wenn sie wirklichem Mitleiden entspringt. Doch bedarf es mehrerer anderer Elemente, ehe elementares, aber subjektives Rechts- und Unrechtsempfinden die Qualität eines verallgemeinerungsfähigen Anspruchs annehmen kann.

          Im Fall der PID reichen weder der Wunsch nach einem gesunden Kind noch die Verpflichtung, größeres Leid zu lindern, aus, um dieses Verfahren a priori oder auch nur in bestimmten Extremfällen als sittlich geboten erscheinen zu lassen. Denn die PID ist auch deswegen umstritten, weil sich auf dem Weg der Technikfolgenabschätzung – analog zu der sittlichen Bewertung der Kernenergie – Gesichtspunkte ergeben, die die Vermutung nahelegen, es könne zu einer irreversiblen Veränderung der Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens kommen: von der Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben bis zu der Wahrnehmung von Schwangerschaft als einem Geschehen auf Probe, das die emotionale Bindung der Mutter an das werdende Leben wesentlich beeinträchtigt. Der stärkste Einwand gegen die PID ergibt sich noch immer aus der Abwägung von Rechtspflichten gegen Tugendpflichten. Wie kann es zulässig sein, in der Erfüllung der Tugendpflicht zu helfen eine unabdingbare Rechtspflicht („Du sollst nicht töten“) zu verletzen?

          Wann wird man zum Menschen?

          Die Antwort auf diese Frage hängt indes von der Prämisse ab, ob der Embryo auch in vitro jener Schutzverpflichtung der Rechtsordnung unterliegt, die die Verfassung in der Achtung und im Schutz der Menschenwürde jeder Person zuspricht. An der Auslegung von Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes durch das Parlament und womöglich durch das Bundesverfassungsgericht wird sich im konkreten Fall der PID zeigen, welches Bild sich unsere Gesellschaft von sich selbst macht: Ob man in ihr von Beginn an als Mensch gleichberechtigter Teil der menschlichen Gemeinschaft ist oder ob man erst nach von der Gesellschaft festzulegenden Kriterien zum Menschen werden darf.

          Daniel Deckers
          in der politischen Redaktion verantwortlich für „Die Gegenwart“.

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