Geheimdiplomatie : Gaddafi soll Westen über Al Qaida informiert haben
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Informationen gegen das Ende der Sanktionen getauscht: Gaddafi Bild: AP
Libyen will sich London und Washington wieder annähern: Dafür läßt Revolutionsführer Gaddafi nicht nur Massenvernichtungswaffen zerstören, sondern gibt angeblich auch Geheimdientsinformationen über Terroristen an den Westen.
Libyen soll umfassende Geheimdienstinformationen über die Terrororganisation Al Qaida und andere militante islamistische Gruppen an die Vereinigten Staaten und Großbritannien gegeben haben. Wie die britische Sonntagszeitung „The Observer“ berichtete, sei dies Teil der Abmachung über den libyschen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und die damit verbundene Aufnahme Libyens in die Weltgemeinschaft gewesen.
„Der wahre Preis nach zwei Jahren intensiver Verhandlungen war für Washington und London der Zugang zum Material eines der gefürchtetsten Geheimdienstorganisationen“, schrieb die Zeitung. Libyen verfüge über ein umfassendes Netzwerk von Geheimdienstquellen in Afrika und dem gesamten Nahen Osten.
Serie außergewöhnlicher Treffen
In einer Serie „außergewöhnlicher Treffen“ in Großbritannien, die vom britischen Geheimdienst MI6 und von der amerikanischen CIA organisiert worden seien, habe sich Libyen zur Übergabe der Informationen bereiterklärt. Gleichzeitig habe das nordafrikanische Land den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen im Austausch gegen die Aufhebung von amerikanischen Sanktionen zugesagt, hieß es weiter in der gewöhnlich gut informierten Zeitung. Nach seiner Erklärung erwartet Libyen eine Normalisierung seiner Beziehungen zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten.
„Wir wünschen uns Beziehungen mit den USA und Großbritannien, weil diese im Interesse unseres Volkes sind", sagte der libysche Außenminister Mohamed Abderrhmane Chalgam am Samstag dem arabischen TV-Sender Al Dschazira. Der amerikanischen Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair sprachen von einem Schritt in die richtige Richtung. In Washingtoner Regierungskreisen hieß es jedoch, man stehe erst am Anfang einer Entwicklung. Aussagen darüber, wann die seit Jahren gegen Libyen verhängten Sanktionen fallen würden, seien daher verfrüht. Bundesaußenminister Joschka Fischer begrüßte die Ankündigung Libyens als ein positives Signal für die Abrüstung. Der libyschen Entscheidung vorausgegangen waren neunmonatige Geheimverhandlungen mit Amerika Großbritannien.
Lybien will Probleme nach Lockerbie lösen
Libyen wünsche, die Probleme zu lösen, die mit dem Flugzeug-Attentat von Lockerbie im Dezember vor 15 Jahren zusammenhingen, sagte Chalgam. Sein Land wolle sich künftig auf zivile Entwicklungsfragen konzentrieren. Die zur Aufgabe vorgesehenen Rüstungsprogramme seien weder dem Land noch seiner Bevölkerung von Nutzen. Der libysche Staatschef Muammar el Gaddafi sprach von einer „weisen Entscheidung", die der Welt zeige, daß sein Land sich dem Ziel einer Welt ohne Massenvernichtungswaffen und ohne Terrorismus verpflichtet fühle.
In der libyschen Erklärung vom Freitagabend hieß es, das Land gebe seine Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen auf und stimme internationalen Kontrollen der Anlagen zu. Nach Auskunft aus Diplomatenkreisen waren bereits am Samstag libysche Experten zu Gesprächen mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien unterwegs.
Präsident Bush kündigte an, der „gute Wille“ Libyens werde belohnt. Allerdings würden die Vereinigten Staaten und Großbritannien darauf achten, daß das Land seine Versprechen auch einhalte. „Wenn Libyen eine friedlichere Nation wird, kann es eine Quelle der Stabilität in Afrika und im Nahen Osten werden", sagte Bush. Wenn sich das Land zu Reformen entschließe, sei Amerika zur Hilfe bei den Bemühungen in Libyen um „mehr Freiheit und Wohlstand“ bereit. Er hoffe, daß andere Länder sich an Libyens Erklärung ein Beispiel nähmen. „So wie wir es bereits bei anderen Ländern festgestellt haben, müssen alte Feindschaften nicht für immer sein.“ Die Vereinigten Staaten werfen auch Nordkorea und dem Iran vor, nach Massenvernichtungswaffen zu streben.
Atomprogramm weiter als angenommen
Aus amerikanischen Kreisen hieß es, das libysche Atomprogramm sei bereits weiter entwickelt gewesen als angenommen, und das Land habe eingeräumt, nukleares Material zum Bau einer Bombe entwickelt zu haben. Auch habe Libyen erklärt, mit Nordkorea an der Entwicklung von Scud-Raketen gearbeitet zu haben. Zudem habe Libyen ein Programm zur Herstellung von Chemiewaffen und Interesse an biologischen Waffen eingestanden.
Blair sagte, der Verzicht Libyens auf atomare, biologische und chemische Waffen zeige, daß das Problem verbotener Waffen auch friedlich gelöst werden könne, wenn diese Länder zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bereit seien. Ähnlich äußerte sich auch der außenpolitische Koordinator der EU, Javier Solana: „Gaddafis Schritt sollte anderen als ein Beispiel dienen.“ Fischer unterstrich, Amerika und Großbritannien hätten mit dieser Initiative einen entscheidenden Beitrag zu diesem „beispielhaften Schritt“ geleistet. Der französische Außenminister Dominique de Villepin nannte die libysche Entscheidung eine wichtige Voraussetzung für die Rückkehr des Landes in die internationale Staatengemeinschaft.
Libyen hatte nach langen Verhandlungen mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten die Verantwortung für den Anschlag auf eine PanAm-Maschine 1988 über dem schottischen Lockerbie übernommen, bei dem 270 Menschen ums Leben gekommen waren, und eine Entschädigungszahlung für die Hinterbliebenen zugesagt. Die Vereinten Nationen hatten darauf hin im September ihre seit elf Jahren bestehenden Sanktionen aufgehoben. Die Aufhebung der Sanktionen würde es amerikanischen Ölfirmen erlauben, wieder in Libyen tätig zu sein, wo sie früher täglich mehr als eine Million Barrel Öl pro Tag förderten.