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G8 und G9 : Üben, üben, üben

  • -Aktualisiert am

Mit guten Grundschulen wäre ein achtjähriges Gymnasium wesentlich einfacher zu organisieren. Um die Verlängerung des Kuschelraums Kindergarten darf es dort nicht länger gehen.

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          Kaum eine Diskussion über das Gymnasium endet ohne den Hinweis auf europäische Länder, deren Schüler nach acht Jahren Abitur machen. Die deutschen Schüler seien auch nicht dümmer, lautet der gängige Einwand. Sie sind gewiss nicht dümmer, aber in einer anderen Schultradition aufgewachsen und deutlich schlechter auf das Gymnasium vorbereitet. Das hat der Ländervergleich der Grundschulen durch das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zuletzt in aller Deutlichkeit gezeigt. Darin war die Risikogruppe der Schüler, die im Grunde nicht ausbildungsfähig sind, also auch nicht auf eine weiterbildende Schule gehen können, noch erheblich größer als in den internationalen Grundschultests.

          Würden die Ergebnisse in ihrer ganzen Brisanz wahrgenommen, müsste längst ein Aufschrei durch die Elternschaft gehen: Denn in manchen deutschen Ländern wird bis zu 30 Prozent der Grundschüler die Zukunft systematisch verbaut. Vieles spricht dafür, dass das achtjährige Gymnasium keine so große Klippe wäre, wenn Schüler in der vierten Klasse wenigstens eines gelernt hätten: das Lernen. Davon kann aber keine Rede sein. Die Schonhaltung der Lehrer gegenüber ihren Schülern überwiegt. Wenn nach zwei Monaten Grundschule nur vier Buchstaben gezeigt werden, wird auch noch das aufgeweckteste Kind seine Neugier verlieren und sich langweilen.

          Grundschulen in Bayern arbeiten zielgerichteter

          Offenkundig ist manchen Grundschulen noch nicht klar, welche Verantwortung sie für das haben, was ihre Schüler am Ende der vierten Klasse beherrschen müssen. Um die Verlängerung des Kuschelraums Kindergarten jedenfalls kann es nicht gehen. Es stimmt doch nachdenklich, dass Grundschulen in Bayern, wo nur Viertklässler mit einem Notendurchschnitt von 2,0 und besser aufs Gymnasium gelangen, so viel zielgerichteter und damit erfolgreicher arbeiten. Sie sind gezwungen, ihr Arbeitsergebnis spätestens am Ende jedes vierten Schuljahrs zur Kenntnis zu nehmen. Sie fühlen sich verantwortlich für eine möglichst gute Vorbereitung auf das Gymnasium und nutzen ihre Unterrichtszeit deshalb auch wirklich als Lernzeit. Das heißt: Sie üben und wiederholen das Gelernte.

          In Hessen und den Stadtstaaten aber scheint das Lernen von Regeln für deutsche Grammatik und Rechtschreibung weitgehend verschwunden zu sein. Dass viele hessische Lehrer selbst mit Rahmenlehrplänen und der Maßgabe unterrichtet wurden, dass Rechtschreibregeln nur dazu da sind, sie zu kritisieren, dürfte diesen Missstand nicht ausreichend begründen. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass in vielen Grundschulen eine regelrechte Leistungsphobie herrscht. Ein wenig Montessori hier, ein wenig Waldorfpädagogik dort, Hauptsache, die armen Kinder werden nicht überfordert, so scheint es mancherorts. Nichts spricht dagegen, einer Überforderung der Schüler entgegenzuwirken. Doch dann wird es Zeit, dass in der Grundschule auf das dilettantische Fremdsprachenlernen und ähnlichen Unsinn verzichtet wird. Ganz offensichtlich wird diese Unterrichtszeit dringend für das Deutschlernen gebraucht, das gilt insbesondere im Blick auf wachsende Ausländeranteile.

          Für die Kinder wirkt sich die vielerorts übliche Schonhaltung und Verzettelung an Grundschulen katastrophal aus, denn sie gehen vier Jahre zur Schule und lernen nicht einmal, dass Leistung etwas mit Anstrengung zu tun hat - von der Beherrschung der simpelsten Lese-, Schreib- und Rechentechniken ganz abgesehen. Im Gymnasium können solche Grundschüler nur scheitern. Gymnasiallehrer fühlen sich für Sprachunterricht im elementaren Sinne nicht verantwortlich, sondern müssen auf die Grundschullehrer vertrauen. Deshalb wird es nicht genügen, die Wahl eines neunjährigen Gymnasialzugs zu ermöglichen. Auch ein neunjähriges Gymnasium kann nicht alle Defizite der Grundschule ausgleichen. Im Gegenteil: Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Schüler werden sich in den ersten drei Jahren immer weiter voneinander entfernen, ganz gleich, ob es sich um ein achtjähriges oder ein neunjähriges Gymnasium handelt. Worauf es ankommt, ist ein tragfähiges Grundschulfundament.

          Das achtjährige Gymnasium verdankt sich ähnlichen Ideologien wie die Bologna-Reform: Man wollte in kürzerer Zeit mehr Abiturienten zu besseren Ergebnissen führen. In fast allen Ländern wurden massiv Stunden gekürzt, der Stoff verdichtet. Deutschland gehört zu den Ländern, die Jugendlichen bis zum Abitur schon jetzt deutlich weniger Unterrichtsstunden bieten (9500), im internationalen Schnitt sind es 11.000. Zumindest für die Deutschkenntnisse scheint das keineswegs belanglos zu sein. Außerdem konnten oder wollten die Länder aus finanziellen Gründen keine gebundenen Ganztagsschulen mit mehr Übe- und Unterrichtszeit organisieren.

          Manche Schulen haben die Organisation des Schulalltags selbst in die Hand genommen und haben erfolgreich ein G8 organisiert, andere werden sich durch die Konkurrenz zu weiteren G9-Zügen noch erheblich verbessern müssen. Am Ende ist ohnehin allein entscheidend, ob Abiturienten studierfähig sind. Niemand interessiert sich dann dafür, ob sie diese Studierfähigkeit in acht oder neun Jahren erreicht haben.

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

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