Vollverschleierung : Burkini – warum denn nicht?
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Burkini-Verbot: In der südfranzösischen Stadt Cannes wurde der Ganzkörperbadeanzug verboten. Diese Strandszene fand allerdings nicht in Frankreich statt, sondern in Tunesien. Bild: AFP
Wie kein anderes europäisches Land ist Frankreich zur Zielscheibe des islamistischen Terrors geworden – und nun reglementiert die Politik die Strandmode? Der Aktivismus zeigt die Nervosität der etablierten Parteien.
Kleider machen nicht nur Leute, sie machen auch Politik. Die Debatte über die Vollverschleierung muslimischer Frauen, die in der CDU vor knapp zwei Jahren begonnen und inzwischen ganz Deutschland erfasst hat, ist in Frankreich wesentlich älter. Schon 2004 wurde das Tragen eines Kopftuches, aber auch von Kippa und großen Kreuzen in der Schule untersagt. Burka, Niqab und andere Vermummungsstile sind in der Öffentlichkeit seit 2011 verboten – das Gesetz hat außer der Verhängung von mehreren hundert Bußgeldern im Jahr keine größeren Auswirkungen. Jetzt wollen viele einen Schritt weitergehen: Mehrere Bürgermeister haben das Tragen des Burkini genannten Ganzkörperbadeanzugs verboten, obwohl dieser, anders als die Burka, das Gesicht freilässt. Die bürgerlich-konservative Opposition setzt die Links-Regierung mit der Forderung unter Druck, ein Gesetz gegen den als religiöses Symbol verstandenen Badeanzug auf den Weg zu bringen.
Man reibt sich verwundert die Augen: Wie kein anderes europäisches Land ist Frankreich zur Zielscheibe des islamistischen Terrors geworden, und nun reglementiert die Politik die Strandmode? Der Aktivismus zeigt die Nervosität der etablierten Parteien links und rechts, die unter dem Druck des Front National stehen. Handlungsfähigkeit wollen sie beweisen. Stattdessen vermitteln sie den Eindruck von Hilflosigkeit.
Schon seit den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 diskutieren die Politiker an den wahren Anliegen vorbei. Bevor die Burkinis in den Fokus traten, setzte die Regierung Hollande monatelang auf die Idee, Terroristen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Am Ende musste sie ihren Antrag mangels Mehrheit in der Nationalversammlung zurückziehen. Bei der Terrorbekämpfung hat die Regierung noch weniger Erfolge aufzuweisen. Etliche Terroristen waren den Sicherheitsbehörden vor den Anschlägen bekannt. Dennoch konnten sie ihre mörderischen Taten ungehindert planen und ausführen. Radikale Prediger wurden nur selten ausgewiesen. Vereinen zur Bekämpfung der Radikalisierung Jugendlicher wurden bis vor kurzem öffentliche Zuschüsse gekürzt.
Strenge Trennung zwischen Kirche und Staat
An den Grundfesten des französischen Staatswesens will niemand rütteln. Frankreich ist bekannt für seine strenge Trennung zwischen Kirche und Staat, die seit 1905 Gesetz ist. In den staatlichen Schulen gibt es keinen Religionsunterricht, kein Politiker hält anlässlich eines christlichen Feiertages eine Rede. Doch der strikte Laizismus hat sich gegenüber dem Terror als wirkungslos erwiesen. Viele Muslime empfinden ihn als Aufforderung zur Religionslosigkeit, was sie von der Republik entfernt. Die französische Angst vor dem sogenannten Kommunitarismus, mit dem die Absonderung religiöser und anderer Gruppen gemeint ist, macht das Zusammenleben nicht leichter. Jede Art von Vereinigung gilt potentiell als Bedrohung für den Zusammenhalt der Republik und die Gleichheit der Lebensbedingungen. Der immer noch verehrte Jean-Jacques Rousseau hatte einst verlangt, dass zwischen dem Staat, der die volonté générale durchsetzt, und dem Citoyen kein Blatt passen dürfe. Daher waren bis weit in das 19. Jahrhundert auch Gewerkschaften oder Arbeitgebervereinigungen untersagt.
Doch mit der Einwanderung aus Nordafrika und aus anderen ehemaligen Kolonien hat sich der Wunsch nach identitätsstiftenden Formen der Zusammengehörigkeit verstärkt. Die Franzosen zeigen gerne mit dem Finger auf die Briten, die dem Kommunitarismus und damit beispielsweise den islamistischen Predigern im Londoner Stadtteil Finsbury Park tatenlos zugesehen hätten. Das Problem: Frankreich kann keine bessere Bilanz aufweisen. Radikale Kräfte haben sich genauso, wenn nicht noch stärker ausgebreitet. Frankreich hat nicht nur extremistische Prediger gewähren lassen, es hat auch viele Muslime der zweiten und dritten Generation nicht integrieren können.
Nur eine Facette der Integrationsdebatte
Kleidungsfragen sind nur eine Facette dieser Integrationsdebatte. Viel wichtiger wären die wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Einbindung von Minderheiten und eine Antwort auf die Frage, warum Bürgermeister und gemäßigte Muslime oft weghörten, wenn islamistische Parolen verbreitet wurden. Das Interesse an Wählerstimmen und an ausländischen Finanzquellen war oft stärker als die Vernunft. Und die große Politik begegnete dem Geschehen in den Banlieues meist nur mit Desinteresse.
Ein Innehalten scheint nun angebracht. Es ist verständlich, dass die Nerven in Frankreich wegen der Terroranschläge bloßliegen. Doch nun sind die Politiker von Regulierungswut erfasst. Passt es zum freiheitsliebenden Frankreich, wenn der öffentliche Raum zu einem Ort der Verbote und der Einschränkungen wird? Soll sich das Recht auf den Bikini in eine Pflicht zum Bikini oder zu einem Mindestmaß an nackter Haut verkehren? Ein Effekt des Burkini-Verbotes zeigt schon jetzt: Viele muslimische Frauen bleiben zu Hause. Dabei wurde der Burkini einst erfunden, damit Musliminnen in Australien Rettungsschwimmerinnen werden konnten.