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Die Kanzlerin hält ihren Humor im Zaum. Hier könnte es sich aber um einen Ausbruch von Ironie gehandelt haben. Bild: Wilhelm Busch

Fraktur : Die Sehnsucht der Frauen

Hat Merkel sich über ihre Geschlechtsgenossinnen lustig gemacht? Oder ist dieser Kontrollverlust ein Anzeichen für das Kohl-Syndrom?

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          Für ihren – angeblich – letzten Auftritt vor der Bundespressekonferenz ist die Bundeskanzlerin wieder so gelobt worden, wie das inzwischen auch bei ihren anderen angeblich letzten Akten geschieht. Obwohl sie ja immer noch nicht gesagt hat, dass sie, weil Deutschland sie schon jetzt vermisst und sonst niemand so gut mit Krisen umgehen kann, doch noch eine Amtszeit dranhängt. Hierzulande müsste dafür, anders als in Russland, nicht einmal die Verfassung geändert werden.

          Berthold Kohler
          Herausgeber.

          Wenn man genau hinhört, kann man in Merkels Äußerungen durchaus Hinweise auf das Kohl-Syndrom entdecken. Erstens weigerte sie sich hartnäckig zu sagen, wo und wie sie den Wahlabend verbringen werde. Hinter den Kulissen? Zweitens verkündete sie, auch nach der Wahl mit ihrer Zeit „etwas anfangen“ zu können. Das deuten wir nicht so, dass sie ihren ewigen Kampf gegen den Klimawandel nur noch in ihrem Garten beim Kompostieren fortsetzen will. Und dann, das ist eigentlich der ultimative Beweis, sagte sie auch noch den Satz, der in den Geschichtsbüchern stehen wird wie „Wir schaffen das“ und „Sie kennen mich“: „Tendenziell gibt es bei Frauen eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz.“

          Tendenziell frisst der Hund Gummibäll'

          Hier hat man, jedenfalls als Mann, nur wenig Interpretationsspielraum. Das ist nicht einfach ein dummer Spruch nach dem Muster „Tendenziell frisst der Hund Gummibäll’“.

          Entweder ist das eine sexistische Ohrfeige für alle Männer, die in der Politik immer nur geschwollen rumlabern und ohne weibliche Führung nichts geregelt kriegen. Das würden wir als etwas unfair empfinden, da doch wirklich nicht alle Politiker Ministerpräsidenten sind.

          Oder es ist ein Aufruf, Annalena Baerbock zu wählen und nicht den Vorsitzenden der Partei, mit der sich die Kanzlerin so verbunden fühlt, dass ihr ihre offenbar doch noch bestehende Mitgliedschaft immerhin schon im zweiten Anlauf wieder einfiel. Auch nicht ganz überzeugend.

          Es bleibt bei wohlwollender Betrachtung also nur der Schluss, dass Merkel es selbst noch einmal machen würde, wenn wir sie recht herzlich darum bäten. Denn welche Politikerin würde die deutsche Sehnsucht nach Effizienz stärker stillen können als die Kanzlerin selbst?

          Effizient beim Weglassen der Fußnoten

          Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die den FDP-Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Rülke dafür schalt, dass er von einer „Art Staatssekretärs-Volkssturm“ im Innenministerium gesprochen hatte? Die Grünen-Politikerin brauchte für das Rügen dieser Entgleisung Stunden, wenn nicht Tage. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrer spektakulären Effizienz bei der Impfstoffbestellung? Dieser Einschätzung würden wir uns tendenziell nicht anschließen wollen. Oder am Ende die ehemalige Lieblingsministerin der Kanzlerin, Franziska Giffey? Die ging vielleicht noch beim Abfassen ihrer Doktorarbeit effizient vor. In den künftigen Arbeiten über die Ära Merkel wäre sie selbst aber nur eine Fußnote, die leicht vergessen werden könnte.

          Nein, diese Damen gehören wohl alle zu den die Regel bestätigenden Ausnahmen, die es Merkel zufolge auch gibt, wenn es um die gewisse tendenzielle Sehnsucht nach der Effizienz geht.

          Allerdings müssen wir, gerade in dieser Kolumne, natürlich die Möglichkeit ins Auge fassen, dass die Kanzlerin ihre Bemerkung ironisch gemeint haben könnte. Einem Mann würde man diese Ausrede nicht durchgehen lassen, dem würden Machogehabe und Zynismus attestiert werden. Oder, noch schlimmer: dass er wie der FDP-Mann in Stuttgart ein Wort benutzt habe, das auch schon die Nazis in den Mund genommen hatten, und zwar ziemlich oft (Frauen).

          Im Falle Merkels könnte man aber durchaus von einem Kontrollverlust sprechen, der Lust auf mehr macht. 16 Jahre lang hat sie ihren Humor, für den es Zeugen gibt, sorgsam im Zaum gehalten. Da wäre eine heitere Amtszeit doch nicht mehr vom selben, sondern etwas Neues.

          Sollte es sich hier tatsächlich um einen Ironieausbruch der Kanzlerin gehandelt haben, wäre allerdings auch der nicht ganz unproblematisch. Denn dann hätte Merkel sich ja über ihre Geschlechtsgenossinnen lustig gemacht. Zum Glück schob sie den Satz mit den Ausnahmeerscheinungen nach. Und an wen denken wir da alle immer noch zuerst?

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