Unsere allergrößte Hochachtung gilt in diesen trüben Wintertagen Diego, dem wackeren Riesenschildkröterich von der Galapagosinsel Española. Seine Art war auf nur noch 14 Exemplare geschrumpft, also musste der hundertjährige Hüne handeln, und das tat er, offenkundig im stolzen Bewusstsein, dass es jetzt auf einen Macher wie ihn ankommt.
Im Rahmen eines Reproduktionsprogrammes zeugte Diego auf der Insel Santa Cruz nicht weniger als 800 Schildkröten, weshalb die Kollegen vom britischen „Guardian“ ihm verdienstvoller Weise den honorigen Titel „sex god“ verliehen und nicht das vergleichsweise belastete Prädikat „Umweltsau“, obwohl Diego im März womöglich per Flugzeug und in einem stinkenden Diesel-Lastwagen (Euro 2) zurück nach Española verbracht wird. Wir meinen: trotzdem hochverdient, der Lorbeer! Im Alleingang die ganze Spezies zu retten, das muss der Schildkröte erst mal einer nachmachen.
Die SPD zum Beispiel sucht schon seit Jahren nach einer Lichtgestalt, die die Sozialdemokratie doch noch vor dem Aussterben bewahren könnte, aber selbst Martin Schulz, Lichtgestalt a.D., hat seinerzeit schmerzlich erfahren müssen, dass es bei dem alten Benediktiner-Motto „Ora et labora“ mit der ersten Hälfte, dem Beten und hundertprozentigen Hoffen, noch nicht getan ist. Danach muss zwingend auch erfolgreiche Arbeit folgen, wenn einem der neue Nachwuchs nicht gleich wieder abhandenkommen soll. Auch derzeit ist die höchste Evolutionsstufe der SPD bekanntlich ein Duo, das bei den Mitgliederzahlen noch keine neue kambrische Explosion ausgelöst hat – zumal böse Stimmen behaupten, angesichts dieser „Führungsspitze“ käme nicht einmal Pu der Bär ins Schwitzen. Und schon gar nicht ins Zittern wie Eskenlaub.
Ein südamerikanischer Erfolgstyp wie Diego kann über derlei deutsche Tiefebenenverzagtheit sicher nur milde lächeln, wenngleich man ernsthaft bezweifeln muss, dass Galapagos-Riesenschildkröten generell zu Gefühlsaufwallungen fähig sind. Darin wiederum ähneln sie der einzigen bekannten Lichtgestalt mit Menschenantlitz, der man vergleichbare historische Großtaten wie von Diego überhaupt zutrauen mag (neben Donald Trump, der sicher auch die Spezies Riesenschildkröte im Alleingang aufpäppeln könnte, so er sich denn dazu entschlösse): Trumps virilem Bruder im Geiste, Wladimir Putin. Der russische Präsident kann bekanntlich nicht nur Bären erlegen, mit Leoparden kuscheln und mit Kranichen fliegen, er fährt auch mit Walforschern aufs Meer hinaus und rettet die gesamte einheimische Walpopulation, indem er Peilsender an zornigen Beluga-Damen befestigt.
Was die eigene Arterhaltung betrifft, verfolgt Putin aber einen anderen, egozentrischeren Ansatz als Diego: In Ermangelung vertrauenswürdiger Nachwuchsautokraten reproduziert er seit Jahren ausschließlich sich selbst. Dabei verblüfft er immer wieder so stupend mit seiner Fähigkeit zur Parthenogenese (eingeschlechtlichen Fortpflanzung), dass es sicher selbst Diego den Neid in die stieren Schildkrötenaugen treibt. Präsident, Ministerpräsident, Parteisekretär, Staatsratsvorsitzender; kein Amt, das nicht geeignet wäre, über oder unter jemand anderem zu herrschen. Und wenn die Verfassung dafür noch nicht der natürlichen Ordnung der Dinge entspricht (Wladimir Wladimirowitsch war, ist und wird sein), dann passt die Verfassung sich eben dem Amt an und nicht umgekehrt, wo kämen wir denn da hin!
Diego und Wladimir, zwei zupackende Teufelskerle also, die die eigene Spezies jeweils mit Weitblick und Tatkraft in die Zukunft führen. Nur die deutsche Sozialdemokratie schrumpft weiter, weil Moskauer Verhältnisse hierzulande zum Glück nicht infrage kommen und den Genossen ein Aufzuchtprogramm auf Santa Cruz auch nach intensivem Nachdenken nicht als attraktive Option für ihr Nachwuchsproblem erscheint. Womöglich hofft mancher im Willy-Brandt-Haus deshalb, wenn schon nicht von einer Riesenschildkröte, dann doch von Annalena und Robert zu lernen. Der Mitgliederzuwachs bei den Grünen nimmt Ausmaße an, die selbst Diego beeindrucken müssten.