Fraktur . Die Sprachglosse : Der Endsieg des Neusprech
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Lohnuntergrenze statt Mindestlohn, Gesundheitsprämie statt Kopfpauschale, Mensch mit Migrationshintergrund statt Ausländer: Wie unsere Politiker zwar nicht die Welt verändern, aber schon einmal die Begriffe.
Der Vorwurf, den Politikern fiele zu den großen Fragen unserer Zeit nichts ein, ist selbst nicht sonderlich originell. Vor allem aber ist er zutiefst ungerecht. Natürlich versuchen Frau Merkel und ihre Nummer zwei, Sarkozy, nicht, Dinge und Menschen zu ändern, die man nicht ändern kann, die Griechen etwa. Oder auch uns Deutsche, damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Es kommt schließlich, wie doch gerade wir wissen, nicht darauf an, die Welt zu verändern, sondern den Begriff von ihr. Das Sein bestimmt das Bewusstsein? So ein marxistischer Quatsch. Natürlich bestimmt es der Begriff.
Diese Erkenntnis beherzigt die CDU schon, seit die Rente sicher ist. Das jüngste Beispiel dafür finden wir in der Umbenennung des Mindestlohns in Lohnuntergrenze. Dem Mindestlohn konnte die Union schon deshalb nicht zustimmen, weil dieses Wort mindestens so kalt und gefühllos daherkommt wie die Kopfpauschale. Seit diese Gesundheitsprämie heißt und die Krankenkasse Gesundheitsversicherung, haben sich gleich viel weniger Arbeitnehmer (ehemals Arbeiter) krankgemeldet. Was Wunder, können sie sich nach dem Endsieg des Neusprech über die Krankheit ja eigentlich nur noch gesundmelden.
Ähnlich gut sind wir mit der Abschaffung des Ausländers gefahren. Der heißt jetzt Mensch mit Migrationshintergrund oder Zuwanderer. Einwanderer ging am Anfang nämlich auch gar nicht, weil Deutschland, darauf schwor die CDU Eide, niemals ein Einwanderungsland war. Da jetzt jedenfalls der Ausländer verschwunden ist, kann es eigentlich auch keine Ausländerfeinde mehr geben. An deren politisch korrekter, den Regeln des Gender Mainstreaming genügender Umbenennung wird allerdings noch gearbeitet.
Durchgehend enttäuscht hat bisher nur das Projekt zur terminologischen Überwindung der Mutter aller Krisen. Das sei keine Euro-Krise, sondern eine Schuldenkrise, sagen unsere Politiker. Schuldenkrise, wie das schon klingt. Als ob es nicht um unser schönes Leben auf Pump ginge. Na kommt, das könnt Ihr doch besser! Nehmt Euch ein Beispiel am Prager Außenminister Schwarzenberg, wenn auch vielleicht nicht bis zum letzten Buchstaben.
Der Fürst hat sich, als er in den Dienst der Tschechischen Republik trat, erst einmal selbst umbenannt. Jetzt führte er mit Blick auf Berlusconi, der ja auch zu den Unveränderlichen gehört, eine recht lebendige Wendung in die Debatte ein, die dem merkelscharfen Vorwurf, in Italien sei Zeit vergeudet worden, wohl etwas das Schneidende nehmen sollte. Das von Schwarzenberg gewählte tschechische Wort für das, was Berlusconi sich anstelle von Reformen vorgenommen habe, lautet „prošoustat“.
Wer wirklich wissen will, was das auf Deutsch heißt, muss entweder noch einmal die Freitagausgabe der F.A.Z. zur Hand nehmen oder ein Wörterbuch. Der Verfasser verweigert unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention die Übersetzung. Die Einführung von Untergrenzen, dann aber bitte in der ganzen EU, ist vielleicht doch gar keine so verkehrte Idee.