Studie weist nach : Weniger Anträge aus sicheren Herkunftsstaaten
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Flüchtlinge auf serbischer Seite am geschlossenen Grenzübergang zu Ungarn Bild: dpa
Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Wenn Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden, verringert das die Zahl der Asylanträge von Personen aus diesen Staaten erheblich.
Wenn Länder als sogenannte sichere Herkunftstaaten eingestuft worden sind, verringert das die Zahl der Asylanträge, die von dort kommen. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie gelangt, die das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in den nächsten Tagen veröffentlichen wird und deren Ergebnisse dieser Zeitung vorliegen. Die Untersuchung zielt auf Staaten des westlichen Balkans, von wo besonders viele Asylanträge kommen. Die werden jedoch zu fast hundert Prozent mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragsteller in ihrer Heimat nicht verfolgt würden.
Vor einem Jahr, im September 2014, wurden drei Länder des westlichen Balkans von Deutschland per Gesetz als sichere Herkunftstaaten eingestuft. Es waren Bosnien-Hercegovina, Mazedonien und Serbien. Ziel dieser Entscheidung ist es, Asylverfahren zu verkürzen und Antragsteller aus diesen Ländern schneller von Deutschland aus wieder nach Hause schicken zu können. Das soll den Anreiz senken, überhaupt einen Antrag zu stellen. Wer das erwägt, soll wissen, dass er aller Voraussicht nach abgelehnt wird und gleich auf einen Antrag verzichten. Noch intensiver als zuvor wird seither politisch darüber gestritten, ob dieses Ziel erreicht wird. Vor allem die Grünen bezweifeln das.
Signifikante Zahlen
Die IfW-Ökonomen Sebastian Braun und Richard Franke verglichen die Asylanträge der Jahre 2014 und 2015 aus Bosnien-Hercegovina, Mazedonien und Serbien mit denen aus jenen Westbalkan-Staaten, die noch nicht als sicher eingestuft sind: Albanien, Kosovo und Montenegro. Sie kommen zu dem Schluss: „Es gibt klare Indizien, dass die Klassifizierung in sichere und nicht sichere Herkunftsstaaten einen Einfluss auf die Zahl der gestellten Asylanträge hat.“ Vom Januar bis zum August dieses Jahres stiegt die Zahl der Asylanträge aus den nicht als sicher eingestuften Staaten Albanien, Kosovo und Montenegro von 8570 auf 70.637. Das ist eine Steigerung um 724 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im vorigen Jahr. Dagegen steigerte sich die Zahl der Anträge aus den sicheren Herkunftsländern Bosnien-Hercegovina, Mazedonien und Serbien in diesem Zeitraum nur um 32 Prozent auf 22.281. Das bedeutet, dass aus den nicht als sicher eingestuften Staaten dreimal so viele Asylbegehren kamen wie aus den sicheren. Braun und Franke schreiben, dass das Verhältnis vor der gesetzlichen Einstufung der drei Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer „fast umgekehrt“ gewesen sei.
Die Wissenschaftler schreiben: „Hätte die Deklaration als sicherer Herkunftsstaat keinen Effekt, wäre zu erwarten, dass die Zahl der Asylanträge aus sicheren und nicht sicheren Herkunftsstaaten in der gleichen Region und bei ähnlichen politischen Entwicklungen, wie auf dem Westbalkan der Fall, auch einen ähnlichen Verlauf nimmt.“ Wäre das so, so hätten nach den Berechnungen der IfW-Mitarbeiter aus Bosnien-Hercegovina, Mazedonien und Serbien in dem in Rede stehenden Zeitraum 138 925 Anträge kommen müssen statt der etwas mehr als 22.000. Franke kommt zu dem Schluss, das Argument einiger Politiker, die Einstufung von Herkunftsländern als sicher sei wirkungslos, da sich die Zahl der Asylanträge kaum verändere, sei „nicht überzeugend“. Ohne die Entscheidung vom vorigen November wären seiner Meinung nach die Anträge aus Bosnien-Hercegovina, Mazedonien und Serbien sprunghaft gestiegen.
Die Innenminister der Europäischen Union hatten sich bei ihrem Treffen am Montag in Brüssel darauf verständigt, dass alle Staaten des westlichen Balkans als sichere Herkunftsländer einzustufen seien. Bundesinnenminister Thomas de Maizière setzt sich dafür schon lange ein. Allerdings braucht er für eine entsprechende Entscheidung in den Fällen Albanien, Kosovo und Montenegro wieder die Unterstützung der Grünen, um eine Mehrheit im Bundesrat zu erzielen. Bei der Entscheidung vor einem Jahr hatte der baden-württembergische Ministerpräsident und Grünen-Politiker Winfried Kretschmann gegen den Willen weiter Teile der Partei für eine Mehrheit im Bundesrat gesorgt.