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Frankreich : Le Pens heimlicher Vordenker

Angst vor der Auswechselbarkeit: Renaud Camus in Saint-le-Vieux Bild: AFP

Renaud Camus ist der Vordenker des Front National. Er selbst wird gemieden, doch seine Thesen werden immer salonfähiger. Denn Camus glaubt, dass Frankreich vor einem Identitäts- und Kulturverlust ohnegleichen steht.

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          Es liegt etwas Anrüchiges über diesem Termin. Sogar Marine Le Pen ziert sich, mit diesem Mann in Verbindung gebracht zu werden, auch wenn sie sich ständig seiner Ideen bedient. „Ich bin ein Paria“, sagt Renaud Camus ziemlich schnell nach der Begrüßung. Er hat darauf bestanden, in seinem Hotelzimmer zu reden. Es ist ein stilles Kämmerlein mit Dachschräge und einem phantastischen Blick auf den Obelisk am Place de la Concorde. Camus sagt, er sei nur noch selten in Paris. Zuletzt hat der 69 Jahre alte Vordenker des Front National in der Hauptstadt vor Gericht gestanden, wegen Anstiftung zum Rassenhass. Er ist zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt worden, weil er muslimische Einwanderer als Teil einer „Eroberung Frankreichs“ bezeichnet hatte. Der Prozess geht jetzt in die nächste Instanz.

          Michaela Wiegel
          Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

          Die meiste Zeit verbringt Camus in seinem Schloss in der Gascogne, diesem urfranzösischen Landstrich im Südwesten, wo Gänse für „foie gras“ gemästet und Trauben seit Jahrhunderten zu Armagnac gebrannt werden. Hat die Gascogne etwas mit dem schmächtigen Mann im hellen Sommeranzug zu tun, der sich im Gespräch ganz sanftmütig gibt? Hat sie. Denn Camus glaubt, dass Frankreich vor einem Identitäts- und Kulturverlust ohnegleichen steht. „Le grand remplacement“ (etwa: der große Bevölkerungsaustausch) lautet das Schlagwort, das Camus erfand und inzwischen in keiner Debatte über die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik fehlt. Für die Linke ist es ein Unwort. Doch auf der Rechten, bei den Republikanern und im Front National, ist der Begriff (nicht der Autor) inzwischen salonfähig. Dazu hat maßgeblich Eric Zemmour beigetragen, der französische Publizist, dessen düstere Analyse vom Selbstmord Frankreichs, „Le suicide français“, mehr als eine halbe Million Mal verkauft wurde. Zemmour hat die Idee vom „grand remplacement“ popularisiert.

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          Camus aber zitiert Bertolt Brecht, um sein Konzept vom „großen Bevölkerungsaustausch“ zu erläutern. Nach dem Volksaufstand in der DDR 1953 hatte Brecht das Gedicht „Die Lösung“ geschrieben, mit dem ironischen Schluss: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Aus Ironie, sagt Camus, sei bittere Wirklichkeit geworden. Die französischen Regierungen seien dabei, das französische Volk „aufzulösen“ und durch ein anderes zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen, sagt er. Das sei kein Komplott, das sei die Folge der Globalisierung, die alles - Waren, Produktionsstätten und Menschen - für auswechselbar erklärt habe.

          „Unsere Demographie schwächelt, kein Problem, dann holen wir uns halt künftige Rentenzahler von anderswoher“, sagt Camus. Diese Ideologie des „remplacisme“, der Auswechselbarkeit, sei zutiefst menschenverachtend. Und sie führe dazu, dass Frankreich wie andere Einwanderungsländer seine Identität verliere. „Es ist ganz einfach: Es gibt ein Volk, und innerhalb nur einer Generation sind da plötzlich an seiner Stelle mehrere Völker“, sagt Camus. Ihm sei das aufgefallen, als er von seinem damaligen Verlagshaus den Auftrag erhielt, geographisch-geschichtliche Abhandlungen über drei französische Departements im Südwesten zu schreiben. „Mit dem Phänomen der Banlieue war ich natürlich vertraut. Ich machte wie die meisten nicht viel Aufhebens darum, dass in den Hochhaussiedlungen vor unseren Metropolen Parallelgesellschaften entstanden waren“, sagt er. Aber bei seiner Rundreise durch den Südwesten sei ihm bewusst geworden, dass sich die Veränderung längst nicht mehr auf die Banlieue beschränkt. Camus spricht von mittelalterlichen Städtchen mit alten Kirchen und Befestigungsmauern, die von der jahrhundertelangen französischen Geschichte zeugen. „Aber in den Gassen wohnen Menschen, die einer anderen Zivilisation angehören, die sich anders kleiden, anders sprechen, anders essen und anders feiern“, sagt Camus.

          Vorboten des Kulturverlusts

          Ihre Bewertung der Rolle der Frau, der Juden und der Homosexuellen - er selbst hat früher viel über seine Homosexualität publiziert - sei nicht mit der französischen vereinbar. „Es war ein Kulturschock“, sagt er. „Sie müssen sich vorstellen, Sie spazieren durch Rothenburg ob der Tauber, und es begegnen Ihnen nur verschleierte Frauen“, sagt er. Dieser weit fortgeschrittene Bevölkerungsaustausch aber werde verschwiegen, von den Medien und den Politikern geleugnet, empört er sich. Es fielen immer die gleichen Argumente. Frankreich sei immer schon ein Einwanderungsland gewesen. „Das ist eine Lüge. Zwischen dem sechsten und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat Frankreich so gut wie keine Einwanderer aufgenommen“, sagt Camus. Er weist es zurück, ein Rassist zu sein. Er nennt die arabisch-islamische Zivilisation eine Hochkultur, „aber es ist eine andere Zivilisation, es ist nicht unsere Zivilisation“, sagt er. An ein friedliches Zusammenleben der beiden Zivilisationen auf französischem Boden glaubt er nicht. Vielmehr seien die Franzosen dabei, von den Einwanderern „kolonisiert“ zu werden.

          Sie hätten nur die Wahl zwischen Rückzug oder Anpassung an die fremden Sitten. In seiner Ablehnung einer Verschmelzung der Kulturen beruft sich Camus auf den Gründer der V. Französischen Republik, Charles de Gaulle. 1959 hatte der damalige französische Präsident seinem Biographen Alain Peyrefitte angesichts des Algerienkrieges gesagt: „Es ist sehr gut, dass es gelbe, schwarze und braune Franzosen gibt. Sie zeigen, dass Frankreich offen ist für alle Rassen und dass es eine universelle Berufung hat. Aber unter der Bedingung, dass sie eine Minderheit bleiben. Sonst wäre Frankreich nicht mehr Frankreich. Wir sind vor allem ein europäisches Volk, von griechischer und römischer Kultur und christlicher Religion. Dass man sich da nichts vormacht! Die Araber, haben Sie sie sich angesehen? Haben Sie sie angesehen mit ihren Turbanen und mit ihren Dschellabas? Sie haben sicher gesehen, dass sie keine Franzosen sind.“ Camus meint, heute würde de Gaulle wegen einer solchen Äußerung angezeigt werden.

          Die geplante Abschaffung des Latein- und Griechischunterrichts in der Mittelstufe, aber auch die Abkehr von den bilingualen Europa-Klassen bewertet der Schriftsteller als Vorboten des Kulturverlusts („déculturation“). Diese kulturelle Entwurzelung sei die Grundlage des „großen Bevölkerungsaustausches“. Camus sieht sich als Teil einer großen Bewegung gegen die Uniformierung der Welt. „Ich will nicht in einem Land ohne Geschichte, ohne Grenzen und ohne Kultur leben“, sagt er. In den achtziger Jahren war er Stipendiat in der Villa Medici in Rom, und er sagt, noch heute fühle er sich als echter Europäer. Seine Bücher sind lange nicht mehr übersetzt worden. Camus schildert verbittert, wie er von den Medien und den Verlagshäusern geächtet werde, seit er 2012 zur Wahl Marine Le Pens aufrief. Doch demnächst, sagt er, soll „le grand remplacement“ in deutscher Sprache herauskommen.

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