Oktoberfest und Flüchtlinge : „Es könnte eng werden“
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Tausende feiern in einem Oktoberfest-Zelt - und viele von ihnen pilgern dann trunken in Richtung Hauptbahnhof. Bild: dpa
In gut einer Woche beginnt in München das Oktoberfest. Aber was passiert, wenn spät abends tausende Wiesnbesucher am Hauptbahnhof auf hunderte Flüchtlinge treffen? Innenminister Herrmann sorgt sich.
Die Theresienwiese ist abgesperrt, die Bierzelte stehen schon und auch das Riesenrad dreht sich, allein es fehlen noch einige Kabinen. In rund einer Woche beginnt in München das Oktoberfest. 6,3 Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr. 6,5 Millionen Liter Bier wurden getrunken. Ein kollektives Rauscherlebnis, bei dem vor allem spät abends, wenn die Zelte schließen, Tausende betrunken in den Hauptbahnhof drängen. Spät abends kommen zurzeit auch die meisten Flüchtlinge an. Von „Nachtspitzen“ ist bei den Sicherheitsbehörden die Rede. Am Mittwoch kamen bis 24 Uhr mehr als 6200 Personen an, mehr als ein Drittel davon nach 18 Uhr.
Mit Sorge blicken die Behörden daher auf die Zeit des Oktoberfests – und planen vor allem zwei Dinge: Mehr Einsatzkräfte und eine „Kanalisation“ der unterschiedlichen Gruppen am Bahnhof. Momentan kommen Züge mit Flüchtlingen zumeist am separaten Nordteil des Münchner Hauptbahnhofs an. Von dort werden die Menschen in einen abgesperrten Bereich geleitet, in dem sie Lebensmittel und eine medizinische Erstversorgung erhalten. Aber im Nordteil des Bahnhofs treffen auch viele Züge aus dem Münchner Umland ein.
„Mobile Absperrungen“
Schon jetzt führt das zu Engpässen. Zudem halten immer wieder Züge aus Österreich auch am Hauptteil des Bahnhofs. Dann versuche die Polizei mit „mobilen Absperrungen“ durch Beamte die Flüchtlinge quer durch den Bahnhof zu leiten, sagt der Polizeisprecher. Eine Szene, die man sich abends, wenn die Oktoberfestbesucher auf die Bahnsteige drängen, kaum vorstellen mag. „Wenn alkoholisierte Wiesnbesucher auf so viele Flüchtlinge treffen wie in den vergangenen Tagen, könnte es eng werden“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Innenministerium gibt es zum Thema eine Arbeitsgruppe, die Bahn, die Stadt München und die Bundespolizei sind vertreten.
Hermann hat wegen des Flüchtlingsansturms in München auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gebeten, dass die Bundespolizei in Bayern „insgesamt und speziell am Hauptbahnhof deutlich verstärkt werden muss“. Und der Minister habe ihm versprochen, dass er in Kürze für eine Verstärkung sorgen werde.
Wenn überhaupt, dann erfahren die Sicherheitsbehörden momentan sehr kurzfristig, wie viele Flüchtlinge aus Ungarn und Österreich unterwegs sind. Von Serbien gebe es eine „deutliche Bewegung in Richtung Österreich“, heißt es etwa am Donnerstag. Man rechne mit abermals etwa 6000 Personen bis Mitternacht. Prognosen über den Tag hinaus macht niemand. Zu groß sind die Unwägbarkeiten.
Flüchtlinge lassen sich nicht „kanalisieren“
Völlig unklar ist zudem, wie viele Menschen sich dadurch, dass Deutschland so viele derjenigen Flüchtlinge aufnahm, die zuvor in Ungarn aufgehalten worden waren, zum Aufbruch entschlossen haben. Fest steht allein, mindestens zehn Tage dauert für viele die Flucht aus zerbombten syrischen Städten nach Deutschland – und sechzehn Tage dauert das Oktoberfest.
Hinzu kommt, dass sich die Flüchtlinge nur schwerlich „kanalisieren“ lassen. Zwar kann München momentan mehrere tausend Personen in Notunterkünften wie Messehallen für eine Nacht unterbringen. Die meisten werden dann per Bus oder Zug weiterverteilt auf andere Bundesländer oder Regierungsbezirke. Aber viele machen sich selbst auf den Weg. Per Taxi oder Bahn zunächst, dann per Zug in andere deutsche Städte oder nach Skandinavien. Zu Verwandten zumeist. Das ist möglich, da die Flüchtlinge nicht registriert wurden. Dies müsse ebenso wie das Asylverfahren „irgendwann nachgeholt werden“, sagt eine Sprecherin der Regierung von Oberbayern. Momentan sei das aufgrund der Lage „undenkbar“.
„Ein Kraftakt“
Insgesamt erreichten seit dem vergangenen Freitag nach Angaben der Regierung von Oberbayern knapp 40.000 Flüchtlinge den Münchner Hauptbahnhof. Das sind deutlich mehr als im gesamten Jahr 2014. Seit Anfang 2015 waren es insgesamt mehr als 100.000 Personen. „Von einem Rückgang der Flüchtlingszahlen zu sprechen trifft es nicht“, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums München am Donnerstag. Doch die Lage hat sich beruhigt. Einerseits, da die bayerischen Behörden auf die vielen Flüchtlinge reagiert und Notunterkünfte aus dem Boden gestampft haben. Zudem werden mittlerweile die meisten Ankommenden weitergereicht. Nach einer Übernachtung in den Notunterkünften, oder direkt per Sonderzug.
Für die Koordinierung der Ankunft ist weiterhin Bayern zuständig. Der Aufwand sei enorm, heißt es immer wieder. Die Hoffnung auf ein weiteres Drehkreuz in Deutschland hat sich offenbar zerschlagen. „Irritiert“ sei man, dass die Koordination weiterhin keine Aufgabe sei, die auf Bundesebene oder zumindest von zwei, drei Verteilzentren in Deutschland übernommen werde, sagt ein Polizeisprecher. Von einem „Kraftakt“ spricht er, der nicht über mehrere Monate geleistet werden könne.
Wiesnzelte als Unterkünfte?
Mit Sorge blickt man daher in München auf die Engpässe in anderen Bundesländern. So kündigte Baden-Württemberg am Mittwoch an, kurzfristig keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Sollten andere Länder dem Beispiel folgen, blieben die Flüchtlinge in München. Dann, drohte der Präsident der Regierung von Oberbayern, Christoph Hillenbrand am Donnerstag, müssten zunächst deutlich mehr Flüchtlinge in Notunterkünften untergebracht werden. Zudem bliebe dann nichts anderes, als die Flüchtlinge auf reguläre Züge zu lassen – was wiederum mit Blick auf das Oktoberfest problematisch wäre.
Unter diesen Umständen das Fest abzusagen, darüber spricht in München niemand. Für Aufregung sorgte im vergangenen Jahr allein schon die Überlegung, ob nicht die Wiesnzelte hernach als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt werden könnten. Doch auch nun, da die Flüchtlingszahlen deutlich über jenen von damals liegen, wird das ausgeschlossen. Diese Idee sei verworfen worden, heißt es aus dem Rathaus, „da die Mindestanforderungen für eine menschenwürdige und hygienische Unterkunft nach 16 Tagen Oktoberfest nicht gegeben waren“.