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Kritik aus Großbritannien : „Die Deutschen wirken sehr unsympathisch“

Der britische Weg: Premierminister Cameron mit Flüchtlingen im Libanon. Bild: AP

In Großbritannien ist die deutsche Willkommenskultur nicht populär. Britische Kolumnisten sprechen mit Blick auf Deutschlands Flüchtlingspolitik gar von Tugendprahlerei und moralischen Zuchtmeistern.

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          Es passiert nicht oft, dass Angela Merkel von Zeitungen und Zeitschriften im Königreich kritisiert wird, aber kürzlich war es so weit. Das Magazin „The Spectator“ zeichnete die Bundeskanzlerin auf seinem Titelblatt als eine von sich selbst berauschte Loreley. Eingehüllt in eine Deutschland-Fahne sitzt Angela Merkel auf einem Felsen und lockt mit der Harfe, während zu ihren Füßen Menschen ertrinken. „Merkels tragischer Fehler“ lautet der Titel. Darunter: „Ihr Lockruf gefährdet das Leben von Flüchtlingen.“

          Jochen Buchsteiner
          Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Die Zeitschrift ist eng verbandelt mit der Konservativen Partei, und so überrascht es kaum, dass auch im Regierungsviertel die Nase gerümpft wird über die deutsche Flüchtlingspolitik. Von „wütenden“ Reaktionen in Downing Street 10 wusste eine Zeitung zu berichten. Mit offener Kritik hält sich die Regierung zurück, aber zwischen den Zeilen lässt sich genügend Distanz herauslesen.

          Als Innenministerin Theresa May im Unterhaus Stellung nahm, machte sie klar, dass die Regierung den Vorschlag der EU-Kommission, 120.000 Flüchtlinge zu verteilen, „in keiner Weise unterstützt“. Diese Idee, sagte sie, „läuft Gefahr, noch mehr Menschen dazu zu bringen, ihr Leben zu riskieren und die gefährliche Reise über das Mittelmeer oder nach Europa zu machen“. Richtig sei die britische Lösung, nur Flüchtlinge aus den Lagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien aufzunehmen. Nur so lasse sich – neben der Abschreckung – erreichen, dass den „am meisten Betroffenen“ geholfen und den Schleppern die Geschäftsgrundlage entzogen werde. Es war kein Zufall, dass Premierminister David Cameron Mays Botschaft zur gleichen Zeit mit Bildern aus einem UN-Lager im Libanon flankierte. Er kauerte auf einem Bett und sprach mit Flüchtlingsfamilien, die zu wenig Geld für einen Schlepper hatten.

          „Bis zu 20.000 Flüchtlinge“ in fünf Jahren

          Die Berichte über die deutsche „Willkommenskultur“ sind nicht ohne Wirkung geblieben. Auch im Königreich gab es Demonstrationen mit „Refugees Welcome“-Schildern. Aber erst das Foto des toten syrischen Jungen am Strand von Bodrum brachte Cameron kurzzeitig unter Druck. Camerons Ankündigung, „bis zu 20.000 Flüchtlinge“ in den kommenden fünf Jahren aufzunehmen, beruhigte die Lage, auch wenn die Opposition die Zusage kleinlich fand. Konkrete Forderungen stellte sie aber auch nicht. In seiner Antwortrede auf Theresa May beließ es der neue Schatteninnenminister der Labour Party, Andy Burnham, bei einem wuchtigen, aber vagen Satz: „Dies ist möglicherweise die größte Krise dieser Art, die wir in unserem Leben sehen werden, und unsere Antwort wird uns als Generation definieren.“

          London : Großbritannien will 20.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen

          Es sind vor allem die britischen Medien, die über die Krise anders berichten als die deutschen. Als es zu Auseinandersetzungen zwischen ungarischen Grenzschützern und Flüchtlingen kam, zeigte die BBC, wie junge Männer Tore eintraten und Steine warfen. In der ARD-Tagesschau waren die drastischsten Bilder nicht zu sehen – stattdessen Frauen und Kinder, die vor dem Tränengas der Sicherheitskräfte flohen. Entsprechend unterschiedlich kommentierten die Reporter das Geschehen. Während das deutsche Fernsehen ein unverhältnismäßiges Vorgehen der Ungarn nahelegte, sprach der BBC-Reporter von der „Verteidigung der Grenzen“ und bezweifelte, dass sich die Flüchtlinge mit diesem Gewaltausbruch „neue Freunde“ gemacht hätten.

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