
Flüchtlingspolitik : Im Lügenbrei
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Lügenbaron auf der Kugel: Wenn es auch nicht stimme, heißt es in der Diskussion um die angebliche Vergewaltigung, so sei es doch sehr gut erfunden. Bild: Picture-Alliance
Das Lauffeuer vom toten Flüchtling und die Geschichte vom vergewaltigten Mädchen haben eines gemeinsam: Es wird so getan, als sei die Lüge der Wirklichkeit näher als die Wahrheit.
Die Geschichte vom Flüchtling, der gestorben sein soll, weil die Zustände im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales so chaotisch sind, ist so weit nicht entfernt von der Geschichte des russischstämmigen Mädchens, das von Ausländern vergewaltigt worden sein soll. Beide stellen sich als frei erfunden heraus, beide dienen politischen Zwecken, beide Male werden sie von interessierter Seite so behandelt, als hätten sie durchaus stimmen können. Die Geschichte des toten Flüchtlings sei immerhin „nicht ganz so unwahrscheinlich“, äußerte eine Sprecherin der Hilfsorganisation „Moabit hilft“. Das könne sich schließlich jeder vorstellen, der die Zustände in Berlin kenne. Und auch von der angeblichen Misshandlung des Mädchens heißt es in dunkler Erinnerung an die Kölner Silvesternacht: Wenn es auch nicht stimme, so sei es doch sehr gut erfunden. Mit anderen Worten: Ist die Lüge der Wirklichkeit näher als die Wahrheit?
So funktioniert Propaganda. In der politischen Auseinandersetzung stellt sie nichts Neues dar. Doch hier handelt es sich schon nicht mehr nur um Propaganda, sondern um das Leben in der verkehrten Welt, in der Fiktion, in blühender Phantasie; ein Leben, das sich radikale Kräfte spielend leicht zunutze machen können. Halbwahrheiten, Täuschungen, Verdrehungen, Unterstellungen, Schauermärchen werden verbreitet, als handele es sich um wichtige Informationen und seriöse Einsichten in eine verborgene Wirklichkeit. Mittlerweile wird aber auch einfach gelogen, dass sich die Balken biegen. Solche Lügen breiten sich in Deutschland mit rasender Geschwindigkeit aus. Das Internet und „soziale“ Netzwerke wirken wie Dreckschleudern und Räuberpistolen in einem.
Das Berliner Lauffeuer vom toten Flüchtling zeigte, dass es nicht nur die „rechte“ Szene gut versteht, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, um eine bestimmte „Wahrheit“ über Ausländer zu transportieren. Das zweifelhafte Privileg der Rechtsradikalen ist es aber, ausgerechnet diejenigen, die zur Aufklärung ihrer und anderer Lügen beitragen, als „Lügenpresse“ zu diffamieren. Im Lügenbrei, der dadurch angerichtet wird, soll die Saat von Angstmacherei, Fanatismus und Hass vor allem in der bürgerlichen Mitte aufgehen. Deren Polarisierung und Radikalisierung zu verhindern wird dadurch zur Bewährungsprobe der Integrationspolitik. Sie wird mindestens ebenso wichtig werden, wie die Heimatlosigkeit der Flüchtlinge aufzufangen.