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Integrationsbeauftragte : „Was in Köln geschah, war kein Ausleben von Religion“

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz Bild: Matthias Lüdecke

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, sieht das Meinungsklima durch die Übergriffe von Köln vergiftet. Im F.A.Z.-Interview spricht die SPD-Politikerin über Eingliederung von Asylbewerbern und den Islam.

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          Frau Staatsministerin, die EU kann sich auf eine Verteilung der Flüchtlinge nicht einigen und weiterhin sind Millionen Menschen auf der Flucht. Werden wir uns an Jahre wie das vergangene gewöhnen müssen?

          Julian Staib
          Politischer Korrespondent für Norddeutschland und Skandinavien mit Sitz in Hamburg.

          Das lässt sich nicht prognostizieren. Aber eines ist sicher: Das Thema Flucht wird uns die nächsten Jahrzehnte begleiten. Wir müssen vorbereitet sein auf Momente, in denen sehr viele Menschen zu uns kommen. Und wir dürfen in Zeiten, in denen es wenige Menschen sind, nicht annehmen, dass das so bleibt. Wenn Europa gar nicht funktioniert, ist die Krise kaum zu lösen. Ich bin schockiert darüber, wie leichtfertig im Moment mit der EU umgegangen wird. Der Wohlstand, den wir uns mit der EU aufgebaut haben, wird nun dem Populismus geopfert von all denjenigen, die mit Obergrenzen hantieren und keine Ahnung haben, wie das ausgeht. Das ist unverantwortlich.

          Wenn in diesem Jahr wieder über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen sollten: schaffen wir das, die Integration betreffend?

          Es ist allen klar, dass Integration nur gut gelingen kann, wenn die Flüchtlingszahlen in Deutschland reduziert werden. Daran arbeiten alle mit Hochdruck. Das Beste wäre eine europäische Lösung. Richtig ist es auch, mit der Türkei zu sprechen.

          Und wie gelingt die Integration bei uns? Die Ereignisse von Köln lassen viele an einem Erfolg zweifeln.

          Diese schrecklichen, perfiden Angriffe auf Frauen haben die Atmosphäre vergiftet. Dagegen müssen wir ankämpfen. Aber einige hundert Kriminelle stehen ganz sicher nicht für eine Million Flüchtlinge. Es dürfen nicht alle unter Generalverdacht gestellt werden.

          Die mutmaßlichen Täter waren fast alle Männer aus muslimischen Ländern.

          Was in Köln und anderen Städten geschah, ist kein Ausleben einer Religion. Wenn das alle fromme Muslime gewesen wären, wäre das nicht passiert. Dann hätten sie weder Alkohol getrunken noch Frauen angegrapscht. Ich weiß, dass einfache Antworten verführerisch sind. Aber frauenverachtendes Verhalten und sexualisierte Gewalt kommen auch in nichtmuslimischen Ländern vor. Natürlich gelingt Integration nicht von selbst.

          Wird die Integration nicht dadurch erschwert, dass durch die Flüchtlinge der Islam in Deutschland weniger türkisch, mehr arabisch und dadurch konservativer wird?

          Wir müssen erst einmal sehen, wer die Menschen sind, die da zu uns gekommen sind. Wie religiös sind die tatsächlich? Nicht jeder Muslim ist automatisch streng gläubig. Wo Lebenswelten aufeinanderprallen, müssen wir deutlich machen, wie das Zusammenleben bei uns läuft und welche Regeln bei uns gelten. Aber der Islam wird mir zu schnell vorgeschoben, wenn es in Wahrheit um soziale oder andere Probleme geht.

          Viele der Flüchtlinge erhalten nur dann einen Sprachunterricht, wenn sie eine gute Bleibeperspektive haben. Afghanen etwa bekommen keinen, obwohl beinahe die Hälfte von ihnen bleiben darf. Schafft man sich so neue Probleme?

          Die Schutzquote bei Afghanen liegt bei 48 Prozent, also zwei Prozent unter den erforderlichen 50, um als Asylbewerber einen Integrations- und Sprachkurs machen zu können. Da schafft man sich eine Zwei-Klassen-Flüchtlings-Gesellschaft, die allen nicht guttut. Das sollten wir nochmal überarbeiten.

          Aydan Ozoguz im Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier
          Aydan Ozoguz im Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier : Bild: AFP

          Wiederholen wir dieselben Fehler bei der Integration wie früher?

          Wir wissen ja inzwischen, wie wichtig der frühe Spracherwerb ist. Wir sind insgesamt sehr viel besser geworden, aber an manchen Punkten laufen wir dennoch Gefahr, Fehler zu wiederholen: So wurde die Kinderbetreuung bei den Integrationskursen abgeschafft mit der Begründung, dass es einen Anspruch auf einen Kitaplatz gibt. Schauen Sie sich doch mal an, wie viele Kitas es rund um die Flüchtlingsheime gibt! Das heißt für viele Frauen: Sie kümmern sich um die Kinder und lernen kaum Deutsch.

          Und was ist so viel besser geworden?

          Die Bevölkerung hat keine Berührungsängste mehr. So viele Menschen engagieren sich in Flüchtlingsunterbringungen, helfen den Menschen, übernehmen Patenschaften. Wann ist damals jemand in eine Unterkunft gegangen? Das ist heute eine ganz andere Atmosphäre. Verbessert hat sich auch, dass die Flüchtlinge schneller für sich selbst sorgen können. Dass sie schneller arbeiten können oder früher eine Ausbildungsförderung bekommen.

          Das ehrenamtliche Engagement wird immer öfter zu einer Art hauptamtlichen. Wie soll das auf Dauer gehen?

          Das geht nur, wenn wir die Ehrenamtlichen stärker unterstützen und mehr hauptamtliche Strukturen bereitstellen. Wir sind auf den Einsatz der Freiwilligen weiter angewiesen, sie sind eine große Stütze. Aber sie brauchen mehr Hilfe von uns. Ich werde deshalb mit den Maltesern ein großes Programm zur Ehrenamtskoordinierung auflegen und plane auch eine Verdopplung der Mittel für die Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, damit sie dem Ehrenamt Ansprechpartner, Schulungen und auch Supervision anbieten können.

          Und auf Bundesebene?

          Als Integrationsbeauftragte mahne ich vieles an, bin aber nicht auf Augenhöhe mit den Bundesministerien. Ich kann immer wieder nur insistieren, dass etwas passiert, eigene Gesetze kann ich nicht einbringen. Da das Thema uns in den kommenden Jahren weiter sehr beschäftigen wird, brauchen wir ein Einwanderungs- und Integrationsministerium.

          Köln : Wie ein Flüchtling die Silvesternacht erlebt hat

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          Seit Dezember 2013 ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz als Nachfolgerin der CDU-Politikerin Maria Böhmer als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration zuständig. Ihre Aufgaben versieht sie als Staatsministerin im Bundeskanzleramt. 2009 wurde die in Hamburg geborene 48 Jahre alte Özoğuz zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Seit Dezember 2011 ist sie eine von sechs stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. Im Juni 2013 wurde sie zur ersten Bundesvorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt gewählt. Vor ihrer Wahl in den Bundestag war die türkischstämmige Anglistin von 2001 bis 2008 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. In die SPD trat die bis dahin parteilose Abgeordnete 2004 ein. Özoğuz ist mit dem ehemaligen Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) verheiratet. Gemeinsam haben sie ein Kind. (FAZ.NET)

           

           

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