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Migrationsminister in Athen : „Wir werden unser Land nicht in ein KZ verwandeln“

  • -Aktualisiert am

Giannis Mouzalas glaubt, dass Griechenland Flüchtlinge aufnehmen könnte, wenn es nicht zu viele sind. Bild: AP

Giannis Mouzalas ist Griechenlands Minister für Migrationspolitik. Im Interview spricht er über Flüchtlinge in Europa und die Rolle der Türkei in der Flüchtlingskrise.

          4 Min.

          Herr Minister, Griechenland ist ein „Frontstaat“ in der größten Flüchtlingskrise, die Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Was bedeutet das für Ihr Land?

          Michael Martens
          Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

          Es ist sehr wichtig, dass man in Deutschland versteht, was hier geschieht. Man hat Griechenland beschuldigt, nicht angemessen auf die Krise zu reagieren. Aber wir versuchen, alle unsere Verpflichtungen gegenüber Europa zu erfüllen. Etwa achtzig Prozent der Ankommenden sind Flüchtlinge, nicht Migranten. Von den Flüchtlingen wiederum kommt die Mehrheit, etwa sechzig Prozent, aus Syrien. Ungefähr ein Fünftel stammt aus Afghanistan. Aber wenn ein Boot auf eine Insel zusteuert, lässt sich nicht erkennen, wer von den Passagieren Migrant und wer Flüchtling ist. Auf See können wir nicht unterscheiden zwischen Einwanderern und Flüchtlingen. Es gibt auf See auch keine Möglichkeit, die Menschen zurückzuschicken, denn sie nehmen ein Messer und schlitzen ihre Boote auf, und dann müssen wir sie retten. Das ist oft geschehen. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, den Gesetzen Europas und unseres Landes müssen wir den Menschen einen humanitären Ausweg aus ihrer Lage ebnen. Es ist illegal, sie abzuweisen. Wir müssen die Leute retten, und dann erst können wir sie identifizieren. Jedes andere Land, das unsere Grenzen hätte, stünde vor der gleichen Schwierigkeit.

          Allerdings wurde Griechenland vorgeworfen, dass es zu einer Identifizierung oft erst gar nicht komme.

          Sicher hat es bei der Identifizierung anfangs Fehler gegeben, aber inzwischen haben wir große Fortschritte gemacht.

          Die auf den ostägäischen Inseln ankommenden Menschen werden also registriert? 

          Ja, wir haben auf fünf Inseln, die das Eingangstor nach Europa sind, kleine Zentren eingerichtet. Man kann aber auf einer Insel von 5000 Einwohnern kein Lager für 10 000 Flüchtlinge errichten. Deshalb gibt es auf dem Festland, bei Athen und in Makedonien, zwei Registrierungsstellen, sogenannte Hotspots, für den Fall, dass die Inseln überfüllt sind. Eine erste Identifizierung findet also auf den Inseln statt, und danach werden die Menschen in die Aufnahmelager auf dem Festland gebracht, wo das Verfahren abgeschlossen wird. Manche verlassen das Land allerdings vorher illegal, aber wir können die Menschen nicht von Soldaten bewachen lassen. Wir werden unser Land nicht in ein Konzentrationslager verwandeln. Wir haben nicht vor, die Leute einzusperren.

          In einem Europa mit einem funktionierenden Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge wird Griechenland allerdings nicht nur Menschen durchleiten, sondern auch dauerhaft als Asylanten aufnehmen müssen. Ist das Land darauf vorbereitet?

          Wir können das tun, und wir akzeptieren das, solange die Zahl der Menschen, die Griechenland aufnehmen soll, der Größe unserer Bevölkerung und der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft entspricht. Aber es wäre ungerecht, die Umsiedlung damit zu beginnen, dass Flüchtlinge zum ständigen Aufenthalt nach Griechenland geschickt werden.

          Weiterhin landen täglich Tausende auf den Inseln. Wie viele Menschen kann Griechenland tatsächlich registrieren?

          Wir streben für die Lager auf dem Festland eine Aufnahmekapazität von 10 000 Personen an und könnten das noch ausbauen, unter der Voraussetzung, dass die Umsiedlung dieser Menschen in andere Länder funktioniert. Denn allein die Aussicht auf eine solche Umsiedlung wird ein Anreiz für die Flüchtlinge sein, sich auch tatsächlich in diesen Lagern anzumelden und dort zu bleiben. Nur wenn die Menschen sehen, dass die Umsiedlung funktioniert und ihre einzige legale Möglichkeit darstellt, nach Deutschland, Schweden oder in ein anderes Land ihrer Wahl zu kommen, werden sie in diesen Lagern bleiben. Wir werden unseren Teil der Verantwortung erfüllen und hoffen dabei auf die Solidarität der anderen europäischen Länder. Bisher haben wir uns oft allein gefühlt mit diesem Problem. Jetzt scheint sich die Lage in Europa geändert zu haben. Ich bin froh, dass Deutschland eine Führungsrolle bei der Aufgabe übernommen hat, aus der Festung Europa ein Europa der Gastfreundlichkeit zu machen. Da auch wir an ein solches Europa glauben, wollen wir trotz unserer Wirtschaftskrise mit allen unseren Kräften dazu beitragen.

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