https://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/hetze-im-netz-macht-den-waffenschein-und-bewaffnet-euch-14009745.html

Hetze im Netz : „Macht den Waffenschein und bewaffnet euch“

Offener Hass auf Asylbewerber, Politik und Medien: Anhänger der Legida-Bewegung am Montagabend in Leipzig Bild: Reuters

Gegen Asylbewerber und „die da oben“: Nach der Silvesternacht in Köln wird der Tonfall in den sozialen Netzen immer radikaler – vor allem bei Pegida. Die Rufe nach einem Verbot der Bewegung werden lauter. Aber ist das durchsetzbar?

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          Die Aufforderung des Lesers lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Macht den Waffenschein und bewaffnet euch. Ohne geht es leider nicht mehr.“ Der Satz steht auf der Facebook-Seite der rechtsgerichteten Pegida-Bewegung. Und er ist mitnichten ein Einzelfall. Nach einem Jahr Flüchtlingskrise und der Silvesternacht von Köln bricht sich der Hass im Netz immer gewaltiger Bahn, und das längst nicht mehr nur in versteckten rechtsextremen Foren, sondern im grellen Licht der Öffentlichkeit, auf Twitter und Facebook. Und immer öfter drückt sich darin ein fundamentaler, gewaltbereiter und umstürzlerischer Ekel gegenüber den Eliten in Politik, Medien und Behörden aus. Er richtet sich fast ungezielt gegen alles, was von „da oben“ kommt.

          Oliver Georgi
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Selbst als am Donnerstag auf FAZ.NET eine harmlose Glosse über Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erschien, die sich augenzwinkernd mit seiner Kür zum „bestangezogenen Mann Deutschlands“ durch ein Männermagazin befasste und die Flüchtlingsthematik nur streifte, überboten einander viele Kommentatoren auf Twitter danach mit Formulierungen, deren hetzender und radikaler Tonfall fast an die Spätphase der Weimarer Republik erinnert. „Ein aalglatter Feind der freien Rede und der Deutschen“ sei Maas, schrieb ein Kommentator auf Twitter, „er passt sehr gut zu den anderen Spitzenverrätern in Berlin.“ Andere hetzten über den „kleinen Zwerg mit Eichmann-Schnauze“ und beschimpften Maas als „Bundespropagandaminister“ und „Freisler/Goebbels-Mischung“, dessen Frau eine „Burka“ trage.

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          Noch klar bei Verstand?

          Unter den Kommentaren fanden sich auch kaum verhohlene Drohungen wie: „Bald ist er der hübscheste Mann im Knast. Da freuen sich auch schon viele drauf.“ Und das alles, wohlgemerkt, unter einem Text, der sich weder mit der Asylpolitik oder den Geschehnissen in Köln, sondern lediglich wohlwollend ironisch mit dem Modegeschmack des Ministers auseinandersetzte.

          Wie sehr sich der Tonfall im Internet mittlerweile radikalisiert hat, zeigen auch die Reaktionen auf die Legida-Demonstration am Montagabend in Leipzig, als zum Jahrestag der fremdenfeindlichen Bewegung Tausende auf die Straße gingen und gleichzeitig rechtsradikale Hooligans im linksautonom geprägten Stadtteil Connewitz randalierten. In den Foren von Pegida und Legida gab es danach nicht nur Applaus für die weitgehend friedliche Demonstration in der Stadtmitte, sondern auch stillschweigende Zustimmung für die Gewalt in Connewitz, von der sich Legida öffentlich distanziert. Die wenigen kritischen Stimmen, die sich angesichts der Gewalt entsetzt zeigten, waren im Forum deutlich in der Minderzahl. Begeistert zeigten sich unzählige Kommentatoren hingegen vom Auftritt der Pegida-Wortführerin Tatjana Festerling, die auf der Bühne unverhohlen zur Gewalt gegen Politiker und Journalisten aufgerufen hatte. Sie sagte: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetztenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln“.

          Mehr als nur zerstörte Schaufenster: Im linken Leipziger Stadtteil Connewitz randalierten rechte Hooligans am Montag
          Mehr als nur zerstörte Schaufenster: Im linken Leipziger Stadtteil Connewitz randalierten rechte Hooligans am Montag : Bild: dpa

          „Gänsehaut“, kommentierte danach ein Legida-Anhänger auf Facebook, als handele es sich bei Festerlings Hetzrede um einen neuen eingängigen Schlager. „tatjana war ausgezeichnet. diese Rede sollte sich jeder anhören, es ist die blanke Wahrheit.“ Eine andere Anhängerin schrieb: „Danke tati“, ein weiterer lobte „unseren Kampf gegen die landesverräter !!! NATIONALER WIDERSTAND“. Direkt darunter hatten Nutzer des Forums einen Zeitungsbericht über die eingeschlagenen Schaufenster in Connewitz verlinkt. Auch auf der Pegida-Seite wurden Bilder der Demonstration in der Leipziger Stadtmitte gepostet. Einer der Kommentare dort: „Super BÜRGER der BR Deutschland. Und mit diesen Bildern stelle ich Euch Volksverräter da oben die Frage. Sehen so Rechtsradikale aus, Ihr beschissenes Lügenpack?“

          Dunkle muslimische Männer, blonde deutsche Frauen

          (Rechte) Verschwörungstheorien sind Legion auf den Seiten. Immer sind die „Lügenpresse“ und das „verlogene System“ schuld, meistens geht es um blonde deutsche Frauen und dunkle muslimische Männer, die Jagd auf sie machten, immer ist es die Stimme der Unterdrückten, die jetzt endlich einmal zu Wort komme.

          So befürchteten auf Facebook zahlreiche Pegida- und Legida-Anhänger vor der Veranstaltung, in Leipzig könnten sich „von oben eingeschleuste“ Aufwiegler aus den Medien oder dem Staat „mit einem Presseausweis einschleichen“ und Gewaltakte verüben. „War eigentlich wieder jemand von der Presse da und hat Böller gezündet, wie in Köln? Um PEGIDA in schlechtes Licht zu rücken?“ heißt es in einem Kommentar nach der Demonstration. Hintergrund ist ein Video eines Kölner Lokalsenders aus der Silvesternacht, das sich in den einschlägigen Foren rasend verbreitet hat und einen Fotografen zeigen soll, der einen Böller zündet und fallen lässt. Eine Videoanalyse zeigt indes, dass der Böller nicht von dem Fotografen gezündet, sondern aus der Menge abgefeuert wurde. 

          Doch das ficht die Nutzer im Pegida-Forum nicht an. „Außenstehende Provokateure müssen entlarvt werden“, forderte in dieser Woche einer von ihnen. Eine Wortwahl, die ebenso an eine unheilvolle Vergangenheit erinnert wie die Art und Weise, wie Kanzlerin Angela Merkel im Netz beschimpft wird: Eine „Marionette“ der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild sei Merkel, die „gegen deutsche Interessen“ handele und deshalb „festgenommen“ werden müsse, postete am Donnerstag ein Nutzer unter einem F.A.Z.-Text über Flüchtlinge auf Twitter. Er wurde für seinen Tweet von zahlreichen Nutzern mit einem wohlwollenden „Herzchen“ bedacht. Dass Merkel jüdischer Herkunft sei und das verschweige, ist eine in rechtsradikalen und antisemitischen Kreisen verbreitete Verschwörungstheorie, die nun offenbar auch ganz ohne Scheu in aller Öffentlichkeit gestreut wird.

          „Gänsehaut“ und „Danke tati“: Pegida-Wortführerin Tatjana Festerling am Montagabend in Leipzig
          „Gänsehaut“ und „Danke tati“: Pegida-Wortführerin Tatjana Festerling am Montagabend in Leipzig : Bild: dpa

          Immer wieder werden Aufrufe zur Gewaltanwendung in den Foren als Notwehr besorgter Bürger bemäntelt – nach dem Motto: Der Staat kann uns in der Flüchtlingskrise nicht mehr helfen und will es auch nicht, also müssen wir es selber tun. Das belegen auch die oft über Facebook organisierten Bürgerwehren, die derzeit im ganzen Land gegründet werden. Nicht alle sind radikal, trotzdem wird Gewalteinsatz mitunter nicht nur toleriert, sondern sogar gutgeheißen. So schrieb ein Nutzer im Legida-Forum nach den Gewaltexzessen in Leipzig: „In der momentanen Situation muß es nunmal wie 89 sein als die Hools (die Hooligans, die Red.) die Bürger geschützt haben weil wer paßt sonst auf unsere Frauen auf damit sowas wie in Köln nicht auch bei uns passiert.“

          Dem Verfassungsschutz sind die Hände gebunden

          Aussagen wie diese und vor allem die Hasstiraden des ehemaligen AfD-Mitglieds Tatjana Festerling in Leipzig befeuern die Debatte über ein mögliches Verbot von Pegida und Legida – oder zumindest deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Doch das, heißt es beim sächsischen Innenministerium, sei äußerst schwierig. „Der Verfassungsschutz beobachtet jene rechtsextremistischen Bestrebungen, die an den Versammlungen von Pegida teilnehmen, nicht jedoch Pegida als Ganzes“, sagt Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu FAZ.NET. Der Gesetzgeber habe dafür „enge Grenzen“ gesetzt. „Verbale Entgleisungen, Geschmacklosigkeiten und abwegige historische Analogien“ reichten für sich genommen nicht aus, um Pegida in Dresden beobachten zu lassen, so Ulbig weiter. Solange Pegida nicht offen zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufrufe, seien dem Verfassungsschutz die Hände gebunden.

          Ähnlich hatte sich zuletzt auch der Präsident  des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, geäußert, der trotz der deutlichen Radikalisierung von Pegida keine Veranlassung für eine Beobachtung sieht. Im Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ befand Meyer-Plath im Oktober, die „überwiegende Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer bei Pegida sei nach wie vor nicht dem extremistischen Spektrum zuzuordnen“ - eine Aussage, für die er teils heftig kritisiert wurde. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Volkmar Zschocke, sagte FAZ.NET unterdessen, die Versammlungsfreiheit sei nicht unbeschränkt. Zschocke forderte, Versammlungsbehörden und die Polizei müssten im Fall von Pegida „Demonstrationsauflagen konsequent durchsetzen“. Volksverhetzende Reden oder Symbole und jedwede Form von Gewalt seien „nicht tolerierbar".

          Im Ministerium des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD), bis Ende des Jahres Vorsitzender der Innenministerkonferenz, hieß es am Freitag, formal sei es „fast unmöglich“, Pegida oder Legida zu verbieten, weil es sich nicht um eingetragene Vereine oder Parteien handele. „Der Verfassungsschutz beobachtet Rechtsextreme, die sich bei Pegida und Legida tummeln, sehr genau“, sagte ein Sprecher zu FAZ.NET. Die ganze Bewegung unter Beobachtung zu stellen, sei aber sehr schwierig, weil es sich um ein „nicht klar umrissenes Sammelbecken für verschiedene Strömungen“ handele. Vor allem nach dem Auftritt von Festerling bei der Demonstration in Leipzig sei aber umso klarer: „Wer diesen Leuten hinterherläuft, muss wissen, dass er sich zum großen Teil harten Rechtsextremisten anschließt.“

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