Tempelhofer Flugfeld : Kein Park für Flüchtlinge
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Ein „inszenierter Notstand“? Doppelstockbetten für Flüchtlinge im früheren Tempelhofer Hangar Bild: dpa
Auf dem Tempelhofer Flugfeld sollen Notunterkünfte errichtet werden. Jene, die dort einst eine Bebauung verhinderten, nennen das nun einen „Frontalangriff auf die Demokratie“.
Flüchtlinge, die in Berlin Aufnahme suchen, geraten allmählich in den Wahlkampf hinein. Zwar stürzen sie die immer noch hochverschuldete Stadt nicht in finanzielle Probleme – das Geld fließt in Strömen –, aber die Neigung, sich lieber ausgiebig zu streiten, als praktische Schwierigkeiten gemeinsam aus dem Weg zu räumen, ist offenbar nicht länger zu unterdrücken.
Am Dienstag beschloss der Senat einen Gesetzentwurf „zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen“. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) sagte: „Langsam kommen wir an die Grenzen unserer Kapazitäten, müssen aber von einer ähnlichen Größenordnung auch in 2016 ausgehen.“ 65.000 Flüchtlinge seien bisher in die Stadt gekommen, sie lebten in 120 Unterkünften, in Hostels und Pensionen – und in Hangars des alten Flughafens Tempelhof und in Turnhallen, die Schülern und Sportvereinen mehr oder weniger schmerzhaft fehlen.
SPD und CDU einigten sich im Senat darauf, nicht nur alle Tempelhofer Hangars sowie das Hauptgebäude, sondern auch vier Grundstücke um das Flugfeld bis Ende 2019 herum als Standort für „mobile Unterkünfte für Flüchtlinge“ zu nutzen. Die Bürgerinitiative, die einen erfolgreichen Volksentscheid gegen jegliche Bebauung des Tempelhofer Feldes initiierte, schäumte: „Frontalangriff auf die Demokratie.“
Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus versagte am Donnerstag im Plenum dem Senat die Gefolgschaft. Man werde für die von der Regierung beschlossene Änderung der Volksgesetzgebung zu Tempelhof „Zeit und eine stadtgesellschaftliche Debatte“ brauchen, sagte der CDU-Abgeordneter Stefan Evers.
„Revanchefoul“ für den triumphalen Volksentscheid?
Auch die Grünen und die Linkspartei zeigten sich äußerst verärgert über das vermeintliche „Revanchefoul“ für den triumphalen Volksentscheid gegen die Bebauungspläne des Senats. Ursprünglich war es um den Neubau von Wohnungen um das Flugfeld herum gegangen. Jetzt geht es darum, Flüchtlinge mitten in der Stadt und doch in so etwas wie einem eigenen Quartier in sehr großen Zahlen unterbringen zu können, um auf die Turnhallen verzichten zu können.
Die Verantwortlichen – inzwischen ist der frühere Polizeipräsident von Berlin, Dieter Glietsch, Staatssekretär für Flüchtlingsfragen – inspizieren nur noch Gebäude, die für die Unterbringung von mehr als 500 Personen in Frage kommen. Das ärgert viele, die kleinere, angenehmere, zum Teil leerstehende Liegenschaften kennen und gemeldet haben.
Klaus Lederer, Vorsitzender der Berliner Linkspartei und Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, sagte kürzlich vor einem Parteitag: „Es gibt seit Monaten eine Liste von über hundert Objekten oder Flächen in Bundes- oder Landeseigentum, die potentiell für die Unterbringung geflüchteter Menschen geeignet sind“, der Senat müsse endlich signalisieren, ob er sie nutzen wolle: „Der soll seinen Job machen!“, rief Lederer unter dem Applaus seiner Partei.
Lederer: „Permanente Überforderung“
Es wächst die Neigung, die offenkundigen Schwierigkeiten bei der Registrierung, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen als Skandal wahrzunehmen. Die Schlangen vor dem „Landesamt für Gesundheit und Soziales“ (Lageso), zu dem jeder Flüchtling gehen muss, um registriert zu werden und Leistungen zu erhalten, sind vielen ein Ärgernis; zwar wird immer auch berichtet, dass Flüchtlinge gern Gerüchten glauben und schwer durch Informationen zu überzeugen sind, doch werden die Verhältnisse vor dem Lageso inzwischen als Ausweis der „permanenten Überforderung“ (Lederer) angesehen.
Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte der „Tageszeitung“: „Ich habe den Eindruck, dass das ein inszenierter Notstand ist. Da sollen Bilder produziert werden, die die hilfsbereite Stimmung kippen lassen, wie etwa Bilder von Schlägereien. Das müsste gar nicht stattfinden.“ Seit eine Boulevardzeitung ein Video veröffentlichte, auf dem Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes vor dem Lageso in Nazi-Terminologie über die von ihnen zu beschützenden Menschen schwadronieren, seit Bilder bekannt wurden, auf denen Sicherheitsmänner Flüchtlinge schlagen, hält man so einiges für möglich.
„Wir können das besser“
Sowohl der regierende Bürgermeister Müller als auch Glietsch und Sozialsenator Mario Czaja (CDU) geben sich alle Mühe, die Mitarbeiter zu preisen den ehrenamtlichen Helfern zu danken und baldige Besserung zu geloben. Zwei Mitarbeiter der Unternehmensberatung McKinsey beraten Glietsch bis Ende des Jahres ehrenamtlich, wie man Abläufe und Organisation verbessern kann. Aber so rasch sind eben Mitarbeiter nicht zu finden, die sich in den Tücken des komplizierten deutschen Sozialrechts auskennen. Dass Flüchtlinge per Bundesgesetz neuerdings verpflichtet sind, Leistungen alle vier Wochen neu zu beantragen, trägt nicht zur Entspannung vor dem Lageso bei.
Es gibt Verbesserungen im Umgang mit den vielen Menschen, die in Berlin ankommen, aber sie reichen nicht aus: denn es sind 600 bis 800 Personen, die täglich hinzukommen; eine seriöse Prognose ist nicht möglich. Schon wurde ein großes Haus am Sitz des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit für Flüchtlinge eingerichtet, eine alte Lungenklinik in Wannsee soll Flüchtlinge aufnehmen.
„Wir können das besser“, hieß der Refrain der Linkspartei beim Parteitag, und auch die Grünen betonten unablässig, sie seien für alles zu haben, was die Lage der Flüchtlinge praktisch und rasch verbessere. Der Plan, Flüchtlingen in großem Stil Hallen um das Tempelhofer Feld herum zu bauen, und sei es noch so vorübergehend, hat die linke Szene Berlins jedoch in eine solche Wut versetzt, dass es unwahrscheinlich ist, ob das Gesetz zur Nutzung von Tempelhof wie geplant am 10. Dezember im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden kann.