Flüchtlinge auf Lesbos : Insel der versehrten Hoffnung
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Wartehalle: Das Lager Moria ist einer der Orte, an denen die Umsetzung des Abkommens zwischen EU und Türkei begonnen hat. Bild: Reuters
Rund zwei Monate nach Inkrafttreten des Rücknahmeabkommens tritt Griechenlands Flüchtlingspolitik auf der Stelle. Nirgends zeigt sich das deutlicher als auf Lesbos. Ein Ortsbesuch.
Die Narbe an Gulfams Unterarm schimmert weißlich in der Nachmittagssonne, während er den Weg durch das Ölbaumwäldchen zur Rückseite des Lagers weist. Eigentlich ist es mehr als eine Narbe. Es ist eine Stelle fehlendes Fleisch, etwa eine Handbreit groß, die der Körper beim Heilungsprozess zwar mit Haut bedecken, aber nicht ersetzen konnte. Gulfam deutet auf eines der Löcher im stacheldrahtbewehrten Zaun. „Hier kann man hineinkriechen“, sagt er.
An sich sollte das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos nur durch eine der beiden von Polizisten bewachten Zufahrten zu betreten sein, aber die Rückseite des Lagers zählt mindestens sechs Löcher im Zaun. Eigentlich sollten auch weniger Menschen irregulär nach Lesbos kommen, weil fast alle Ankömmlinge laut dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei seit dem 20. März rasch in die Türkei zurückgeschickt werden müssten.
Es kommen kaum noch Boote
Auch über Asylanträge in Griechenland sollte umgehend entschieden werden. Aber fast alle, die nach dem Stichtag kamen, sind immer noch hier. Und theoretisch sollte die Rückführung Flüchtende abschrecken. Aber obwohl sie nicht wirklich stattfindet, kommen wirklich kaum noch Boote. Gulfam lebt seit dem 24. März im Lager Moria auf Lesbos. Vier Tage nach seiner Ankunft beantragte er Asyl in Griechenland. Mehr als zwei Monate später weiß er immer noch nicht, wann sein Verfahren beginnen wird.
Das Abkommen sieht ebenso vor, dass für jeden Syrer, der zurück in die Türkei gebracht wird, ein Syrer aus den dortigen Flüchtlingslagern direkt in die Europäische Union gelangt. Aber bisher sind weniger als 500 Menschen in die Türkei zurückgeschickt worden und im Gegenzug nur 280 Syrer in die EU gekommen. Es heißt sogar, viele von denen, die zurückkehrten, seien freiwillig gegangen und hätten gar keinen Asylantrag gestellt.
Im vergangenen Jahr war eine halbe Million Menschen auf Lesbos angelandet, in den vergangenen zwei Monaten waren es nur noch wenige tausend. In der vorletzten Mai-Woche haben 72 Flüchtlinge die Insel erreicht. Erzielt das Abkommen nun den gewünschten Effekt, ohne dass der Mechanismus wirklich greift? Darf Griechenland nur einen Moment Atem holen, die EU sich nur kurz ausruhen, bevor mit dem Sommer auch wieder Menschenmengen die Küsten erreichen?
Auf der anderen Seite des Zauns tritt ranzige Brühe über die Schwelle eines Toilettenhauses und kleckert auf den staubigen Weg. Es stinkt. Am Wegesrand hocken Verkäufer und bieten Tand feil. Flüchtlinge sind sich selbst und den Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen überlassen. Einige dieser Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, hatten Moria nach dessen Verwandlung in eine geschlossene Einrichtung am 21. März aus Protest gegen die Bedingungen verlassen. Trotzdem sind viele freiwillige Helfer noch da, man erkennt sie an ihren bunten Westen. Und nur am Eingang, ganz in der Ferne, und im Inneren des eingezäunten Sicherheitsbereichs im Zentrum des Lagers, erspäht man von Zeit zu Zeit das tiefe Blau der Polizeiuniformen.