Vor dem EU-Gipfel : Merkels Schicksalstage
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Vor den entscheidenden Tagen ihrer Kanzlerschaft: Angela Merkel, hier am Montag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg Bild: dpa
Für Angela Merkel geht es auf dem EU-Gipfel am Donnerstag nicht nur um den Kurs in der Flüchtlingspolitik, sondern auch um ihre Kanzlerschaft und die Zukunft Europas. Schafft sie es, Europa in letzter Minute hinter sich zu bringen? Und was geschieht, wenn nicht?
Wenn Angela Merkel bislang zu einem EU-Gipfel reiste, dann als ungekrönte Königin Europas. Was Madame Merkel wollte, wurde in Brüssel meist beschlossen, selbst wenn es manchmal quälend lange dauerte wie in der Griechenland-Krise. Letztlich aber fügte sich das Orchester Europa in der Regel murrend dem Takt, den Merkel auf dem Dirigentenpult vorgab.
Wenn die Kanzlerin an diesem Donnerstag nach Brüssel fährt, dann hat sich dieses Bild fundamental gewandelt. Europa ist heillos zerstritten, die Union steht wegen der Flüchtlingskrise kurz vor dem Bruch, und wenn Merkel ihr Anliegen, endlich eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise zu erreichen, den anderen Mitgliedsstaaten vorträgt, wird sie bei vielen Partnern auf eisiges Schweigen treffen. So einsam war es um die Kanzlerin noch nie.
Es sind schicksalhafte Tage für Merkel, die nicht nur über ihre eigene Zukunft als Kanzlerin entscheiden könnten, sondern gleichzeitig über die Zukunft Europas. Gelingt es ihr, in letzter Minute eine Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu erreichen und den Flüchtlingsstrom zu begrenzen, ohne den Schengen-Raum zu beerdigen, dann hätte sie einen wichtigen Etappensieg errungen. Kurz vor den Landtagswahlen am 13. März, die zur Generalabrechnung über Merkels Flüchtlingspolitik zu werden drohen, könnte sie dann vor die Deutschen – und ihren CSU-Quälgeist Horst Seehofer – treten und sagen: Seht Ihr, wir schaffen das wirklich. Wir sind auf einem guten Weg.
Von Optimismus ist Europa weit entfernt
Doch von Optimismus ist Europa derzeit weit entfernt. Das Ende der EU ist längst mehr als nur ein fernes Schreckgespenst, und selbst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, sonst nicht des Alarmismus verdächtig, wurde jüngst mit den Worten zitiert, die EU stehe vor dem „Zerbrechen“. Zwar sind sich die EU-Staaten grundsätzlich einig darüber, dass eine Eindämmung des Flüchtlingsstroms möglichst schon an der EU-Außengrenze unabdingbar ist. Doch wie das schnell und vor allem dauerhaft geschehen kann, darüber erhebt sich noch immer ein kakophonisches Stimmengewirr.
Merkel will die Fluchtursachen im Nahen Osten beseitigen – aber eine rasche Befriedung des Syrien-Konflikts scheint nach der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende und dem Nein des Diktators Assad zu einer Feuerpause unwahrscheinlicher denn je.
Merkel will die Türkei als „Schleusenwärter“ einsetzen, um die EU-Außengrenzen zu schützen und den Flüchtlingsstrom in Richtung Europa zu verringern – aber die Türkei steckt ebenfalls im blutigen Syrien-Konflikt fest und ist trotz finanzieller Zusagen seitens der EU bislang nur sehr zögerlich bereit, diese Funktion wahrzunehmen. Auch die Einsatz der Hotspots in Griechenland, in der die Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa registriert werden sollen, kommt weiter nur schleppend voran.
Flüchtlingskrise : Merkel zur Lage an den Außengrenzen der EU
Kaum Fortschritte bei der Verteilung der Flüchtlinge
Am heftigsten zerstritten ist die EU jedoch in der Frage, was mit den Flüchtlingen geschehen soll, die es nach Europa geschafft haben. Merkel will sie solidarisch auf die EU-Staaten verteilen – doch selbst bei der bereits verabredeten Verteilung von 160.000 Flüchtlingen ist die Union bislang kaum vorangekommen. Im Gegenteil: Vor allem die osteuropäischen Länder wehren sich weiter vehement dagegen, Flüchtlinge aufzunehmen.