Flüchtlingskrise : Nicht mal am Horizont ein Ausbildungsplatz
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In Rosenheim erzählen die Helfer, dass ihnen nun, durch den starken Zuzug von gar nicht oder gering qualifizierten jungen Menschen, erst klarwerde, wie anspruchsvoll in Deutschland allein eine Ausbildung geworden sei. Zu Zeiten der Kriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien in den neunziger Jahren habe es noch Jobs für ungelernte Arbeiter gegeben. Produktionshelfer in der Holzfabrik etwa, sagt Fischer. Heute nicht mehr. Flüchtlinge, die in die Grundschule gingen, hätten noch Chancen, sagt der Jugendamtsleiter. Die meisten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aber seien einfach nicht qualifiziert genug und könnten sich das, was deutsche Kinder und Jugendliche in vielen Jahren lernten, nicht in drei Monaten aneignen. Fischers Angaben zufolge ist eine Berufsschule für die allermeisten ausgeschlossen. Das Sprachkursniveau B2 (etwa das Verständnis für Hauptinhalte von Texten auch zu abstrakten Themen) sei für viele der jungen Leute „intellektuell nicht erreichbar“. Fischer fügt hinzu: „Denen fehlt das Koordinatensystem.“ Manche der jungen Flüchtlinge sind ein paar Jahre irgendwo zur Schule gegangen, nun wollten sie studieren. „Nicht mal am Horizont“, sagt Fischer dazu. „Die komplexe deutsche Welt können wir denen nicht beibringen“, sagt auch Mitterer.
Ausbildungsstandards deutlich zu hoch
An der Wirtschaft liegt es nicht. Die habe Interesse, ermögliche vieles, sagen die Helfer in Rosenheim und verweisen auf ein Pilotprojekt im Landkreis Dingolfing. Dort soll im Herbst eine neue Logistikhalle entstehen mit bis zu 2000 Arbeitsplätzen. Der Landkreis will rund zwanzig Plätze für Flüchtlinge freihalten, sie sollen eine Ausbildung als Logistiker machen und parallel dazu Sprachkurse erhalten. Seit Juli 2015 läuft das Projekt, doch bisher wurde nur eine passende Person gefunden. Ein Kurs sei daher noch nicht zustande gekommen, sagt ein Sprecher des Landratsamts Dingolfing. „Wir suchen weiter Leute.“ Die Betreuer der „Jungen Arbeit“ in Rosenheim lachen nur noch beim Stichwort Dingolfing.
Viel Unmut hat sich hier über die Politik aufgestaut. Die nehme weiterhin an, dass die Flüchtlinge deutlich besser ausgebildet seien, als es der Realität entspreche. Der deutsche Arbeitsmarkt sei stark genug, um eine große Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen – 350.000 Flüchtlinge jährlich seien „rein quantitativ“ kein Problem, sagte unlängst der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele. Seinen Angaben zufolge geht die BA davon aus, dass zehn Prozent der Flüchtlinge nach einem Jahr Arbeit finden, 50 Prozent nach fünf Jahren und 75 Prozent erst nach zwölf bis 13 Jahren. Der Rosenheimer Kreisjugendamtsleiter nennt den ersten Teil dieser Aussage „höchst optimistisch“. Der zweite Teil sei „ausgeschlossen“. Von 100 bis 150 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen macht nach seinen Angaben nur einer eine Ausbildung.
Für die meisten seien die Ausbildungsstandards deutlich zu hoch. Viele könnten vielleicht den praktischen Teil bestehen, den theoretischen sicherlich nicht, sagt Fischer. In Rosenheim warnen die Helfer auch angesichts der Diskussion über eine Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge davor, nun mit „zweierlei Maß zu messen“ und etwa die Ausbildungsstandards zu senken. Das geschehe auch nicht für die schwächeren deutschen Jugendlichen. Fischer schlägt daher „Zwischenabschlüsse“ vor. „Module“, die machbar seien. Zudem ein „Curriculum für Flüchtlinge“, eine „abgespeckte Form der Ausbildung“ mit mehr Zeit, verstärkter Sprachförderung und Sozialbetreuung. Auch müssten die Erwartungen an die Jugendlichen deutlich nach unten geschraubt werden, sagt Fischer. Noch sei Deutschland vor allem mit der Erstversorgung der Asylsuchenden beschäftigt. „Die Frage, welche realistischen Möglichkeiten die Flüchtlinge in Deutschland haben, ist nicht beantwortet. Es hilft niemandem, auch nicht den Flüchtlingen, sich Illusionen zu machen.“ Diese Erkenntnis komme erst langsam „oben“ an.