
FAZ.NET-Countdown : Schnecken-Verhandlungen in Berlin
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Die drei Hauptverhandler: Martin Schulz, Horst Seehofer und Angela Merkel Bild: dpa
Deutschland wartet seit Monaten auf eine Regierung. Auch diese Nacht brachte bei den Koalitionsverhandlungen keinen Durchbruch. Wie geht es jetzt weiter?
Union und SPD haben sich nach einem langen, letzten Verhandlungstag auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Stopp, zu früh gefreut! Es soll einfach noch nicht sein. Es dauert noch an, wahrscheinlich räumen die insgesamt neunzig Unterhändler aus CDU, CSU und SPD an diesem Mittwoch die letzten Steine aus dem Weg und schnüren dann das finale Paket. Man nennt es auch: Koalitionsvertrag. Gestern, zu später Stund' jedenfalls, hieß es noch: „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner.
Nehmen wir an, dass es heute klappt: Für den SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz sind damit aber noch nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. Die Parteibasis wird noch über den Koalitionsvertrag abstimmen. Schulz und seine Groko-Getreuen gehen auf Werbetour durchs Land. Die Gegner einer neuerlichen großen Koalition aber auch. Allen voran Kevin Kühnert, der Juso-Vorsitzende. Am Ende wird ausgezählt. Noch sind auch mehrere Anträge beim Bundesverfassungsgericht anhängig von denjenigen, die die Mitgliederbefragung für verfassungswidrig halten. Zwei Anträge hat das höchste Gericht schon abgewiesen, wann es über die anderen entscheidet, ist unklar. Der Koalitionsvertrag wird nun im „Vorwärts“, der SPD-Parteizeitung abgedruckt und den Mitgliedern zugeschickt. Die stimmen ganz analog auf dem Postweg ab. Von dem Ergebnis wird nicht nur politische Zukunft von Schulz abhängen, sondern es wird die nahe Zukunft des ganzen Landes beeinflussen. Die Lage der SPD ist alles andere als günstig. Wie konnte es soweit kommen? Dieser Frage gehen meine Kollegen Eckart Lohse und Markus Wehner nach.
Was sonst noch wichtig wird
Der Bundesgerichtshof verhandelt heute zwei Klagen zum Energieverbrauch von Haushalten. In einem der Fälle wurden die Mieter einer Dreizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus im Heppenheim von ihrer Vermieterin verklagt. Für die Jahre 2013 und 2014 verlangt sie eine Nachzahlung auf die in den Betriebskosten enthaltenen Heizkosten in Höhe von mehr als 5000 Euro. Die Forderung der Mieter, zur Überprüfung die Belege über die Ablesung der übrigen Wohnungen einzusehen, lehnte die Vermieterin ab. Im zweiten Fall geht es um eine Nachzahlung für Strom.
Der französische Präsident Emmanuel Macron wird heute auf Korsika eine Rede zur Rolle der Mittelmeerinsel halten. Im Wahlkampf hatte Macron Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Die Stimmung auf der Insel war vor dem Besuch aufgeheizt: Es ist unklar, wie das künftige Verhältnis zwischen Paris und Ajaccio aussehen wird, wie viel Autonomie die Insel bekommen soll.
Ryszard Czarnecki soll heute womöglich als stellvertretender EU-Parlamentspräsident abgewählt werden. Czarnecki war schon mehrfach durch Rüpeleien aufgefallen. Zuletzt hatte der PiS-Politiker eine polnische Europaabgeordnete der EVP als „Szmalcownik“ – als „polnische Judenverräterin“ bezeichnet, als jemanden, der Juden an Nationalsozialisten verkauft hat. Die Hürde für Czarneckis Abwahl ist hoch. Zwei Drittel der anwesenden Abgeordneten des EU-Parlaments müssen für seine Amtsenthebung stimmen. Und die müssen insgesamt auch eine Mehrheit der gewählten Abgeordneten ausmachen.