Fall Mollath : Horstopheles
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Kein Zweifel: Es ist hohe Zeit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens Mollath. Nur ist Horstopheles alias Seehofer der falsche Mann, der Justiz Beine zu machen.
Es möchte kein Hund länger so leben, ächzt es aus den Amtsstuben der bayerischen Justiz. Ein Mephistopheles namens Horst Seehofer sitzt den Staatsanwälten und Richtern im Nacken, die mit dem Fall des Gustl Mollath befasst sind. Er bläst ihnen in die Ohren, was die Bevölkerung erwarte - eine „zügige Behandlung“, sprich einen kurzen Prozess, an dessen Ende Mollath auf freien Fuß kommt. Letzteres sagt Seehofer natürlich nicht, er ist schließlich kein politischer Novize. Im gleichen Atemzug, in dem er eine „zeitnahe Überprüfung“ anmahnt, versichert er, wie außerordentlich teuer ihm die richterliche Unabhängigkeit sei. Nur zu teuer darf sie ihm nicht werden am 15. September, dem Tag der Landtagswahl. Ein, zwei, drei Prozentpunkte könnten den Ausschlag dafür geben, ob die CSU das verteufelte Wort „Koalition“ wieder aus ihrem Vokabular streichen darf.
Um Missverständnisse auszuschließen: Gustl Mollath ist Unrecht widerfahren. Er war 2006 angeklagt, seine Frau misshandelt und Reifen zerstochen zu haben. Sein Verzweiflungsschrei, nichts davon sei wahr, er werde vor Gericht gezerrt, weil er Schwarzgeldschiebereien anprangere, in die seine Frau, eine Bankangestellte, verstrickt sei, wurde als Wahn abgetan. Später wurde ein Bankbericht bekannt, der seine Hinweise auf dubiose Geldtransfers in die Schweiz bestätigte. Das Urteil, mit dem er als geisteskranker Gewalttäter in die geschlossene Psychiatrie geschickt wurde, verdient diesen Namen nicht. Es ist ein Machwerk, in dem Grundregeln des juristischen Handwerks missachtet werden.
Für den Bundesgerichtshof, der es in der Revision bestätigte, ist eine größere Blamage kaum denkbar. Was sitzen für Richter in Karlsruhe, die nicht einmal merken, dass in einem Urteil, dem ein Rosenkrieg zwischen Eheleuten zugrunde liegt, jede Beweiswürdigung fehlt?
Einmal irre, immer irre
Die Hoffnung, dass die Justiz in der Lage ist, im Instanzenzug zumindest grobe Rechtsfehler zu korrigieren, hat bei Mollath getrogen. Zyniker werden sagen, damit müsse ein Rechtsstaat leben: dass Richter der ersten Instanz, freundlich formuliert, schludern - unfreundlich formuliert, sich nicht darum scheren, was ihres Amtes ist. Dass Revisionsrichter ihre Lesebrillen verlegt haben und ein Urteil passieren lassen, das jeden Rechtsreferendar in der zweiten Staatsprüfung den Kopf kosten würde. Dass Sachverständige, die nach einer Einweisung in die Psychiatrie tätig werden, einfach Akten fortschreiben, nach der Melodie: einmal irre, immer irre.
Zyniker werden sagen, so sei es eben in der Psychiatrie: Mollath habe es sich selbst zuzuschreiben, dass es irgendwann hieß, es komme gar nicht darauf an, ob sein Verdacht zutreffe, Schwarzgeldschieber hätten sich gegen ihn verschworen. Er hätte einfach kuschen müssen und sagen: Jawoll, ich bin total verrückt, bitte gehorsamst um Behandlung! Krankheitseinsicht sei schließlich der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung. Mollath habe es in der Hand gehabt, zum Musterpatienten zu avancieren, dessen Heilung vom „Schwarzgeldwahn“ und darauf folgende Entlassung zu einer der großen Erfolgsgeschichten der Psychiatrie hätte werden können, besonders gefeiert in der Schweiz. Renegaten seien eben nirgends beliebt, würden die Zyniker sagen, schon gar nicht bei Behandlungseinheiten, die auf solche Fälle spezialisiert seien.
Fummeleien am Rechtsstaat
Kein Zweifel: Es ist hohe Zeit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens Mollath. Nur ist Horstopheles alias Seehofer der falsche Mann, der Justiz Beine zu machen. Der Eindruck, mit der Zahl der Schlagzeilen steige die Chance, dass die Politik der Justiz in die Parade fährt, wäre fatal. Es darf unter die lässlichen Sünden gerechnet werden, dass Seehofer vor dem Wahltag Windräder entdeckt hat, die den Heimen der Wähler gefährlich nahe kommen. Fummeleien am Rechtsstaat lassen sich aber nicht mit einigen Vaterunsern nach dem Wahltag sühnen.
Horstopheles mag auf die heilige Sabine der Bürgerrechte zeigen, die auch nichts Besseres im Schilde führe - Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat ihre Beamten angespornt, Gedanken zu Papier zu bringen, wie die strafrechtlichen Vorschriften zur Unterbringung in der Psychiatrie reformiert werden könnten. Ihre Überlegungen, die Dauer der Unterbringung zu begrenzen, die Fristen für Überprüfungen zu verkürzen und die Anforderungen an die Gutachten der Sachverständigen zu erhöhen, sind des Schweißes der Juristen wert. Nur dass er verdächtig nach dem Angstschweiß der Wahlkämpfer riecht; für Leutheusser-Schnarrenberger, die bayerische FDP-Vorsitzende, entscheidet sich wie für Seehofer das politische Schicksal am 15. September.
Im Fall Mollath haben die gerichtlichen Kontrollmechanismen lange versagt. Sie deshalb auf die Seite zu schieben hieße, den Rechtsstaat endgültig zuschanden zu reiten - auf der Schindmähre der Wahlkämpfer.
Fummeleien am Rechtsstaat lassen sich nach dem Wahltag nicht mit ein paar Vaterunsern sühnen.