Ungarns Staatsreform : EU-Kommission mit Ungarn weiter unzufrieden
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In Brüssel wird bezweifelt, dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wirklich zur Demokratie steht Bild: dpa
DIe EU-Kommission hat zwei der drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn verschärft und eines ausgesetzt. Es bestünden noch ernste Bedenken, sagte die Kommissionssprecherin. Die ungarische Regierung zeigte sich kompromissbereit.
In der Auseinandersetzung über die ungarische Staatsreform hat die EU-Kommission am Mittwoch das Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Unabhängigkeit der Notenbank ausgesetzt, das für das Land die größte Bedeutung haben dürfte. Zugleich hat sie aber die beiden anderen anhängigen Verfahren verschärft, bei denen es um die Unabhängigkeit der Justiz und des Datenschutzes geht. Die Sprecherin der Kommission sagte, es gebe wichtige Fortschritte, es bestünden aber auch noch ernste Bedenken. Die Verschärfung der beiden Verfahren sei mit der Hoffnung verbunden, dass man gemeinsam mit Ungarn eine Lösung finde. Die ungarische Regierung sprach davon, dass die Kommission ihre Änderungsvorschläge in neunzig Prozent aller Fälle akzeptiert habe. Die entsprechenden Gesetzesvorschläge seien noch am Mittwoch von der Regierung verabschiedet worden. In den noch offenen Fragen sei man bereit, den Dialog mit der Kommission fortzusetzen.
Die Kommission sieht durch die weitreichende Staatsreform der Regierung Orbán EU-Recht verletzt und hat deshalb im Januar drei Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet. Hintergrund ist, dass in Brüssel Zweifel daran herrschen, ob die Regierung Orbán, die im Parlament in Budapest über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, wirklich zur Demokratie steht. Im Verfahren zum neuen Notenbankgesetz zeigte sich die Kommission mit den bisherigen Änderungsvorschlägen Ungarns zufrieden, zu denen unter anderem gehört, dass die Regierung nicht mehr an den Sitzungen des geldpolitischen Rats teilnimmt. Ungarn konnte sich dagegen beim Streit über die Eidesformel des Notenbankgouverneurs durchsetzen (es ging um die Frage, ob er nur Ungarn oder auch der EZB verpflichtet ist), die die Kommission jetzt unverändert akzeptierte.
Dieses Dossier ist für Ungarn wichtig, weil die Kommission sich geweigert hat, die Verhandlungen über einen Kredit für das hochverschuldete Land weiterzuführen, solange das Notenbankgesetz nicht überarbeitet ist. Die Sprecherin der Kommission sagte am Mittwoch, die Bedingungen für Kreditgespräche seien immer noch nicht erfüllt.
Die Kommission erwarte von Ungarn die Übersendung der entsprechenden Rechtstexte zum Notenbankgesetz und einen Zeitplan für deren Verabschiedung. Außerdem verlangt die Kommission noch weitere „Klarstellungen“, die sie in einem sogenannten Verwaltungsbrief Rehns darlegen wird. Hier geht es vor allem um die Regeln zur Bezahlung des Notenbankpräsidenten, die die Kommission als mögliches „Erpressungswerkzeug“ wertete. Sie wünscht dazu weitere Auskunft. Außerdem will sie, dass die ungarische Regierung aufhört, „systematisch“ Pressemitteilungen mit Kritik an der Geldpolitik der Notenbank zu veröffentlichen.
Die Kommission behielt sich vor, das Verfahren wiederaufzunehmen. In den beiden anderen Verfahren schickte die EU-Behörde sogenannte „mit Gründen versehene Stellungnahmen“ nach Budapest, was ihre letzte Mitteilung vor der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs ist. Die Frist, die Ungarn für die Behebung der darin kritisierten Mängel nun hat, wurde von den sonst üblichen zwei Monaten auf einen verkürzt. Die Sache sei dringlich, da die beanstandeten Gesetze schon in Kraft seien, hieß es zur Begründung.
Diskriminierung in Herabsetzung des Rentenalters von Richtern
Im Fall der Justiz sieht die Kommission immer noch eine Diskriminierung darin, dass das Rentenalter der Richter von 70 auf 62 Jahre herabgesetzt wurde, was 274 Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand brachte. Ungarn hat zur Lösung vorgeschlagen, dass einzelne Richter nach Bestehen einer beruflichen und medizinischen Prüfung weitermachen dürfen, was der Kommission aber nicht genug ist. Ein solches Verfahren könne willkürlich sein und ändere vor allem nichts an der Sonderbehandlung der Richter, die es so für andere Berufe nicht gebe. Zusätzlich verschickt die Kommission auch hier einen Verwaltungsbrief, in dem sie Erläuterungen dazu haben will, dass das neue Nationale Justizamt Gerichte für einzelne Fälle auswählen und Richter ohne Zustimmung versetzen kann. Das seien womöglich „systemische Mängel“ im Justizsystem des Landes, die die EU direkt beträfen, wenn ungarische Gerichte EU-Recht anwendeten.
Beim Datenschutz war die Kommission zufrieden mit der ungarischen Darlegung, dass das neue Gesetz nach Anhörung des früheren Beauftragten verabschiedet wurde. Dass er seine Amtszeit aber nicht zu Ende führen durfte, sehe man immer noch als Verstoß gegen die Unabhängigkeit des Datenschutzes. Außerdem hält die Kommission die Gründe, die zu einer Entlassung des nun neu eingesetzten Datenschutzbeauftragten führen könnten, für „zu breit und vage“. Aus ungarischer Sicht ist dies der einzige Punkt, in dem es in den Gesprächen mit der Kommission keinen Fortschritt gegeben hat.