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Streit über Schengen-Abkommen : Empörung im Europaparlament

Zuletzt hatte Spanien Ende April wegen einer Sitzung der Europäischen Zentralbank in Barcelona die Grenzkontrollen für Einreisende aus Frankreich wieder eingeführt

Zuletzt hatte Spanien Ende April wegen einer Sitzung der Europäischen Zentralbank in Barcelona die Grenzkontrollen für Einreisende aus Frankreich wieder eingeführt Bild: dapd

Die Reform des Schengen-Raums ist fürs erste blockiert. Im Europaparlament sorgte der Beschluss der EU-Innenminister zu EU-Grenzkontrollen für Empörung. Von „Vertrauensbruch“ ist die Rede.

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          Die Reform des Schengen-Raums, über die in der EU seit dem Massenansturm tunesischer Migranten nach Italien im vergangenen Jahr diskutiert wird, ist fürs erste blockiert. Das Europaparlament verabschiedete Gesetzentwürfe, die mit der Position der Mitgliedstaaten unvereinbar sind, und warf den nationalen Regierungen am Dienstag in einer von großer Empörung geprägten Aussprache fraktionsübergreifend Vertrauensbruch vor.

          Nikolas Busse
          Verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.

          Anlass war ein Beschluss der EU-Innenminister, der das Parlament von einem Teil der Gesetzgebung über das Schengen-Paket ausschließt. Parlamentspräsident Martin Schulz sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Mitgliedstaaten könnten nach ihrem Vorgehen „nicht so einfach“ erwarten, dass das Parlament jetzt noch mit ihnen zusammenarbeite.

          Bild: dpa

          Die Innenminister hatten am Donnerstag einen Gesetzesentwurf verabschiedet, nach dem auf Beschluss der Mitgliedstaaten in Europa für bis zu sechs Monate Grenzkontrollen eingeführt werden können, wenn ein Land seine Außengrenze nicht mehr sichern kann. Zudem beschloss der Rat, dass nur die nationalen Regierungen überprüfen dürfen, ob die Grenzsicherung in den Mitgliedstaaten korrekt funktioniert, nicht jedoch das Parlament (sogenannte Evaluierung). Dazu änderten sie gegen den Willen der EU-Kommission die Rechtsgrundlage des Gesetzgebungsverfahrens.

          In der Parlamentsaussprache führte vor allem letzteres zu heftigen Vorwürfen. Joseph Daul, der Vorsitzende der christlich-demokratischen EVP-Fraktion, sprach von einer „Misstrauenserklärung“ an das Parlament. Für seine Fraktion, zu der CDU und CSU gehören, sei damit der dänische Ratsvorsitz im Ministerrat beendet. Man werde nur noch mit den Staats- und Regierungschefs und dem von Juli an amtierenden zyprischen Ratsvorsitz reden.

          „Rechtspopulistischer Weg“

          Der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, warf den Innenministern vor, sie verfolgten einen „rechtspopulistischen Weg“, die Schließung von Grenzen sei die falsche Antwort auf den arabischen Frühling. Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Verhofstadt, schlug vor, das Parlament solle sämtliche Gesetzgebungsverfahren in der Innenpolitik blockieren, auch die Asyl- und die Visumspolitik.

          Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms, fragte, warum dem Parlament Entscheidungen über die Sicherheit der Bürger nicht anvertraut werden sollten. Verständnis für die Position der Mitgliedstaaten zeigte nur die konservative Fraktion um die britischen Torys, deren Sprecherin Anthea McIntyre die Abgeordneten aufforderte, nicht „kindisch-trotzig“ zu reagieren. Die nationale Sicherheit sei nach dem EU-Vertrag immer noch Sache der Mitgliedstaaten.

          Für die Ratspräsidentschaft verteidigte der dänische Justizminister Morten Bodskov den Beschluss der Innenminister mit dem Hinweis, dass es für eine Beteiligung des Parlaments keine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten gegeben habe. Der Rat sei trotzdem „vom Wunsch beseelt“, mit dem Parlament zusammenzuarbeiten; er werde die Minister von den Beschwerden der Abgeordneten unterrichten.

          Der Innenausschuss hatte zuvor mit großer Mehrheit die Gesetzentwürfe des Parlaments zu dem Dossier verabschiedet. Im Gegensatz zum Rat sollen im Entwurf des Parlaments nicht die Innenminister der Mitgliedstaaten, sondern die EU-Kommission darüber entscheiden, ob Grenzkontrollen eingeführt werden, wenn ein Land seine Außengrenze für längere Zeit nicht sichern kann. Dafür stimmten 44 gegen fünf Ausschussmitglieder bei drei Enthaltungen.

          Abgeordnete bestehen auf Mitsprache bei Evaluierung

          Zur Evaluierung beschloss der Ausschuss mit 47 Stimmen bei drei Enthaltungen, unangemeldete Kontrollen unter der Führung der Kommission einzuführen. Außerdem behielt der Ausschuss die Rechtsgrundlage nach Artikel 77 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU bei, die dem Parlament eine Mitwirkung ermöglicht. Die Innenminister haben das Verfahren auf Artikel 70 umgestellt, nach dem das Parlament nur unterrichtet wird.

          Viele Abgeordnete erwarten, dass das Parlament Klage gegen die Änderung der Rechtsgrundlage beim Europäischen Gerichtshof einreichen wird. Dazu ist aber ein Plenumsbeschluss nötig. Auch die Gesetzgebung, die der Innenausschuss verabschiedete, muss noch vom ganzen Parlament verabschiedet werden.

          Der federführende Abgeordnete Manfred Weber (CSU) sagte, nun werde erst einmal Stillstand in der Schengen-Reform herrschen. Das Ganze sei zu einer Grundsatzfrage geworden, wie die Rechte des Parlaments nach dem Lissabon-Vertrag zu interpretieren seien.

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