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Folge der Euro-Rettungspolitik : Die Mitte verliert

  • -Aktualisiert am

Griechenlands neuer Finanzminister Giannis Varoufakis. Bild: AFP

Zunächst ging von Athen eine ökonomische Gefahr für Europa aus, jetzt eine politische: Radikale und populistische Bewegungen schlagen aus der Euro-Schuldenkrise Profit. Ein Kommentar.

          3 Min.

          Als die Euro-Rettungspolitik vor fünf langen Jahren begann, galt sie vor allem als ökonomisch hochriskant. Tatsächlich hat der größte Bailout der Geschichte sehr gemischte Folgen für die Finanzen und die Wirtschaft im Euroraum. Auf der Habenseite steht, dass Irland und Portugal die Hilfsprogramme verlassen konnten und Spanien die Zahlungsunfähigkeit erspart blieb. In Zypern, wo man sich erstmals rasch zu einem Schuldenschnitt entschloss, fiel der Zusammenbruch der Wirtschaft zumindest nicht so heftig aus wie befürchtet. Die großen Probleme bleiben Griechenland, die hohe Arbeitslosigkeit, das geringe Wachstum und die Nebenwirkungen der Zentralbankpolitik.

          Über die politischen Kosten hat man sich dagegen erstaunlich wenig Gedanken gemacht, als von 2010 an die Hilfsfonds EFSF und ESM, die Troika und all die anderen Einrichtungen geschaffen wurden, die heute so bitteren Streit hervorrufen. Ein hoher Politiker in Brüssel sagte einmal, wenn es in der Wirtschaft wieder rund laufe, dann werde das Vertrauen in die EU schon wieder zurückkehren. Das dürfte auch bei vielen in Berlin das Kalkül gewesen sein. Die Bundesregierung konzentrierte sich deshalb in den langen Brüsseler Sitzungsnächten auf die finanztechnischen Aspekte der Krise.

          Die Wahl in Griechenland zeigt, dass diese Rechnung nicht aufgegangen ist. Es gab zuletzt Anzeichen, dass die Durststrecke in dem Land zu Ende gehen könnte; die jetzt abgewählte Regierung wollte eigentlich in diesem Jahr an die Finanzmärkte zurückkehren. Dennoch ist die Radikalisierung der Wähler weiter fortgeschritten. Just in dem Moment, in dem ein schwaches Lichtlein am Ende des Tunnels aufzuleuchten schien, stimmten die Griechen gegen Reformen und für eine Konfrontation mit der EU. Dass die neue Koalition von einer links- und einer rechtspopulistischen Bewegung getragen wird, zeigt, dass die herkömmlichen Muster europäischer Parteipolitik in dem Land zerstört sind.

          Wirklich überraschend kommt das nicht. Seit Jahren gibt die Euro-Krise radikalen und populistischen Bewegungen an beiden politischen Rändern Nahrung: Die Wahlerfolge von Parteien wie dem Front National in Frankreich, der Partei der Freiheit in den Niederlanden, der FPÖ in Österreich, den Wahren Finnen, der Lega Nord oder den Grillini in Italien sind durch die Krisenerfahrung stark befördert worden. Selbst Parteien wie die britische Ukip, deren Land gar nicht dem Euroraum angehört, nutzten die Verwerfungen der Währungsunion für ihre Zwecke. In Deutschland, das lange als immun gegen solche Strömungen galt, ist immerhin die AfD entstanden, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wo ihr Platz im Parteienspektrum sein wird.

          Für die europäische Politik ist das eine bedenkliche Entwicklung. Natürlich spricht nichts dagegen, dass korrupte und klientelistische Parteien durch neue Bewegungen ersetzt werden, wie das zum Teil in Südeuropa geschieht. In Demokratien sind Machtwechsel natürlich. Aber allzu oft spalten die neuen Volkstribune ihre eigenen Gesellschaften und hetzen die europäischen Völker gegeneinander auf. Gerade die Verrohung der politischen Sprache, die mit ihrem Aufstieg einhergeht, ist ein Anzeichen dafür, dass die gemäßigte Mitte, die auf Ausgleich und Kompromiss bedacht ist, an Boden verliert. Vielleicht geht das Zeitalter der zentristischen Politik, das die westliche Welt nach dem Kalten Krieg geprägt hat, zu Ende. Auch in den Vereinigten Staaten ist eine unerbittliche Polarisierung der Parteien zum Alltag geworden.

          Ablehnung von Einwanderung und Globalisierung

          Die Euro-Krise ist sicher nicht die einzige Ursache dieses Phänomens. Auffällig oft spielt auch die Ablehnung von Einwanderung oder der Globalisierung eine Rolle. Der tiefe Sturz Griechenlands sollte aber zum Nachdenken anregen. Die Arbeit der Troika galt in Berlin und Brüssel mehr oder weniger als sakrosankt. Kritik wurde meist mit dem Verdacht begegnet, es solle die Haushaltskonsolidierung aufgeweicht werden. Die Geldgeber wollten die Zahlen in Ordnung bringen, für die sozialen Belange des Landes hatten sie kaum ein Ohr. Bei Einkommensverlusten von im Schnitt fünfundzwanzig Prozent hatte Syriza leichtes Spiel, die Schuld den Deutschen und der EU zuzuschieben, auch wenn in Wirklichkeit die griechischen Politiker die nötigen Strukturreformen verschleppt haben.

          Ein Ende der Misere ist leider nicht in Sicht. Früher ging von Griechenland eine ökonomische Ansteckungsgefahr aus, heute ist es eine politische. Die anderen Regierungen des Euroraums haben kaum noch gute Optionen: Kommen sie Tsipras entgegen, liefern sie den Rechtspopulisten in den Geberländern Munition und spornen linkspopulistische Nachahmer in Kreditländern wie Spanien an, wo noch in diesem Jahr gewählt werden soll. Lehnen sie seine Forderungen ab, werden das die Eurogegner als Missachtung des griechischen Wählerwillens ausschlachten. So hatte man sich die europäische Öffentlichkeit, deren Fehlen so oft beklagt wurde, sicher nicht vorgestellt.

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          Nikolas Busse
          Verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.

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