Kommentar : Papst, Europäer und Weltmann
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Ehre und Privileg: Papst Franziskus trägt sich ins Goldene Buch des EU-Parlaments ein Bild: AFP
Papst Franziskus unterscheidet sich in seinem Verhältnis zu Europa deutlich von seinen Vorgängern. Er packt die Europäische Union bei ihrer Ehre und erinnert sie an ihre Privilegien. Ein Kommentar.
Fast eine Generation ist es her, seit zum ersten Mal ein Papst vor dem Europäischen Parlament und dem Europarat sprach. Johannes Paul II. ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen: In sicherer Vorahnung des Zusammenbruchs des Sowjetimperiums machte sich der polnische Papst im Herbst 1988 zum Sprachrohr des Freiheitswillen der Völker Mittel- und Osteuropas. Im Abstand von mehr als 25 Jahren erscheinen indes nicht nur die Ereignisse jener Umbruchszeit als abgeschlossene Geschichte. Noch fremder wirkt das erwartungsfrohe Hochgefühl, das damals mit dem Projekt „Europa“ verbunden war.

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Kaum ein Jahr vor seiner Wahl zum Papst fand Joseph Kardinal Ratzinger im Mai 2004 harte Worte für den geistig-moralischen Zustand Europas: Mit dem Sieg der posteuropäischen technisch-säkularen Welt verbinde sich der Eindruck, dass die Wertewelt Europas, seine Kultur und sein Glaube, worauf seine Identität beruhten, am Ende und schon abgetreten seien, klagte ein hoffnungslos enttäuschter Intellektueller über die Alte Welt. Von innen her leer geworden scheine Europa, und dem inneren Absterben der tragenden seelischen Kräfte entspreche es, dass auch ethnisch Europa auf dem Weg der Verabschiedung begriffen erscheine.
Zehn Jahre später hat das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche abermals „die Ehre und das Privileg“ (Parlamentspräsident Schulz), seine Vision von Europa den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Repräsentanten vieler anderer europäischer Institutionen vorzulegen. Franziskus hat sich der Mann aus Argentinien genannt, nach dem Vorbild jenes mittelalterlichen Heiligen, dem Gott den Auftrag gab, seine Kirche wiederaufzubauen. Aufbauen will Franziskus auch Straßburg. Apokalyptische Untergangsszenarien a la Ratzinger kommen dem Mann dabei nicht über die Lippen, fremd sind ihm aber auch die utopischen Energien Johannes Pauls II. Franziskus ist Realist: Nüchtern schildert er die Symptome einer epochalen Müdigkeit und eines allumfassenden Erschöpfungszustandes, doch nur, um Europa bei seiner Ehre zu packen und an seine Privilegien zu erinnern. Nicht nur die Kirche wird krank, wenn sie sich in die Sakristei einschließt, so könnte man seine theologische Botschaft ins Politische übersetzen, sondern auch Europa, wenn es kein Friedens- und Freiheitsprojekt mehr sein will für seine Bürger und die Völker der Erde. Franziskus kam als Papst, er sprach wie ein Europäer, er ging als Weltmann.