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Griechenland : Das Märchen von den Luxusrenten

Arm im Alter: Griechen beten in einer orthodoxen Kirche in Athen, wo sie eine warme Mahlzeit erhalten. Die Renten sind wegen der Schuldenkrise massiv gekürzt worden. Bild: Reuters

Wie gut geht es Rentnern in Griechenland nach Jahren der Krise? Ein Blick auf das System, das so viel anders funktioniert als die deutsche Rentenkasse, offenbart, wie stark die Einschnitte für alte Menschen in Wirklichkeit sind.

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          Es gibt keine aktuellen Berichte der EU-Kommission oder des Internationalen Währungsfonds über das griechischen Rentensystem und die aktuelle Höhe der Rentenzahlungen. Dennoch kursieren in der deutschen Debatte Zahlen über die Renten in Griechenland, die Vorurteile über „Luxusrenten“ zu bestätigen scheinen, aber die griechische Wirklichkeit nicht wirklich abbilden. Renten in Griechenland funktionieren anders und sind anders aufgebaut als in Deutschland. Sie sind daher auch nicht direkt miteinander vergleichbar. Die Unterschiede sind vielmehr so gravierend, dass gerade nicht behauptet werden kann, Rentnern in Griechenland gehe es heute besser als in Deutschland.

          Rainer Hermann
          Redakteur in der Politik.

          Ein erster wichtiger Unterschied besteht darin, dass in Griechenland das System der Betriebsrente so gut wie unbekannt ist. In Griechenland gibt es – bis auf wenige Ausnahmen – nicht den Mix an unterschiedlichen Rentenbezügen wie in Deutschland. Während ein deutscher Rentner meist auf die staatliche Rente, eine Betriebsrente und eine private Rentenversicherung zurückgreifen kann, bleibt dem Griechen lediglich die staatliche Rente. Eine private Rentenversicherung wird in Griechenland bis heute steuerlich nicht begünstigt, und nur einige Berufszweige, etwa die Ärzte, kennen eine berufsgenossenschaftliche zweite Säule der Rentenversicherung.

          Besonders hart trifft es griechische Landwirte. Sie erhalten meist nur eine monatliche „Landwirtschaftsrente“ von 350 Euro, selbst wenn sie mindestens 35 Jahre Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben. Sie gehören damit zu dem Fünftel der griechischen Rentner, die mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen müssen. Andererseits erhalten 17 Prozent eine Rente von 1500 Euro und mehr.

          Frühverrentung kaschiert Arbeitslosigkeit

          Ein direkter Vergleich zwischen der deutschen und der griechischen Rente krankt auch daran, dass in Griechenland die Arbeitslosenhilfe nach zwölf Monaten ausläuft. Häufig wird die Arbeitslosigkeit durch eine Frühverrentung kaschiert. Offiziell hat jeder vierte Grieche in den vergangenen Jahren als Folge der Krise seine Arbeit verloren; die meisten von ihnen sind Langzeitarbeitslose, werden als Rentner geführt und belasten nicht eine Arbeitslosenversicherung, sondern die Rentenkasse.

          In die Irre führt auch ein Vergleich der Rentenhöhe als Anteil am zuletzt ausgezahlten Lohn, wenn beim griechischen Wert der „Grundlohn“ zugrunde gelegt wird. Traditionell hat sich in Griechenland der Bruttolohn aus einem Grundlohn und Zulagen zusammengesetzt, die bis zu einem Drittel des Bruttolohns betrugen. Wann immer es schwierig war, den Lohn anzuheben, geschah dies über die Zulagen.

          So hatte ein Lokführer bis zum Beginn der Krise einen Bruttolohn von 3500 Euro, der Grundlohn lag bei lediglich 2500 Euro. Hatte ein Lokführer 2009 noch eine Rente von 2300 Euro bezogen, hat sie sich für ihn – wie für eine Mehrheit der griechischen Rentner – seither halbiert. Das ist eine Folge der Vereinbarungen Griechenlands mit der Troika und, gemessen am zuletzt ausgezahlten Bruttolohn, wahrlich keine Luxusrente. Die vereinbarten der Regierung beginnen langsam zu greifen; seit dem Beginn der Krise ist auch die Höhe des Bruttolohns deutlich zurückgegangen. Da auf die Zulagen kein Rechtsanspruch besteht, wurden zunächst sie abgeschmolzen.

          In die staatliche Rentenkasse zahlen anteilig der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber ein; zudem leistet der Staatshaushalt einen hohen Zuschuss. Denn das griechische Rentensystem gilt seit langem als marode. Seit den neunziger Jahren ist bekannt, dass die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu niedrig sind, dass also zur Finanzierung der Leistungen nicht genug eingezahlt wird. Zudem erfordert die schrumpfende und alternde Bevölkerung eine radikale Strukturreform der Rentenversicherung.

          Der Staat hat die Lücke mit jährlichen Zuschüssen gestopft, doch auch sie werden abgeschmolzen. Der Zuschuss betrug 2009 noch 20 Milliarden Euro, heute sind es 14 Milliarden Euro. Dazu wurden Leistungen gekürzt, und das Renteneintrittsalter wurde zunächst von 62 auf 65 Jahre, zuletzt auf 67 Jahre erhöht. Gestrichen wurden Leistungen wie die 13. und 14. Monatsrente, massiv beschnitten – in der Regel auf ein Drittel – wurden Leistungen für Rentner, die schon nach 25 Beitragsjahren in Rente gegangen sind, was in der Vergangenheit für allem für Angehörige der griechischen Armee und für Mütter möglich war, die aber heute noch keine 55 Jahre alt sind.

          Im öffentlichen Dienst wurden zudem die Pensionsleistungen im Durchschnitt um ein Drittel gekürzt. So hat der griechische Staat seine Zusagen an die Rentner und Pensionäre nicht eingehalten, und die griechischen Rentner sind nicht in den Genuss der Hilfsprogramme der Troika für Griechenland gekommen.

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