Europaparlament : Auf Angriff
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Der neue Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, wird alles daran setzen, dass seine Institution im machtpolitischen Gefüge der EU nicht die letzte Geige spielt. Das ist auch nötig: Denn sein Einfluss ist gewachsen. Sein Ansehen aber nicht.
In seiner Antrittsrede als Präsident des Europäischen Parlaments hat Martin Schulz gleich den Ton angeschlagen, der ihn (relativ) bekannt gemacht hat und mit dem er in der Vergangenheit angeeckt ist: sehr kämpferisch, sehr selbstbewusst, sehr forsch. In dem deutschen Sozialdemokraten werden die Kommission und die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer jedenfalls keinen Parlamentsrepräsentanten haben, der sich artig ins Protokoll fügt und ansonsten den europäischen Betrieb nicht stört.
Schulz wird alles daran setzen, dass das Parlament im Institutionengefüge der EU machtpolitisch nicht die letzte Geige spielt; er wird auftrumpfen und den Konflikt suchen, wo und wenn es dem Hause hilft. Und ihm selbst.
Vielleicht ist das ein Weg, der aus der merkwürdigen, unbefriedigenden Lage führt, in der sich das Parlament gegenwärtig befindet: Mit jeder Vertragsreform sind sein Einfluss und seine Rolle im Gesetzgebungsprozess gewachsen; insofern hat es objektiv mehr Macht. Dennoch steht sein Ansehen nicht allzu hoch im Kurs. Die meisten Bürger in den Mitgliedstaaten hängen an ihren nationalen Parlamenten, diese halten sie für legitim; die europäischen Institutionen sind ihnen dagegen fremd.
Die Verfahren sind kompliziert und selbst für Fachleute kaum zu durchschauen. Die Staatsschuldenkrise hat das noch verschärft - und nicht nur das: Sie hat auch die im Vertrag von Lissabon schon angelegte Prominenz der Staats- und Regierungschefs verstärkt. Zwangsläufig führt das auch zu einer Stärkung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und dazu, dass Parlament und Kommission nicht im Mittelpunkt stehen.
Seine Klugheit ist gefragt
Es ist logisch und institutioneller Selbstbehauptungswille, wenn der neue Parlamentspräsident dagegen wettert. Aber sein Vorwurf, die Beschlüsse, die auf europäischen Gipfelkonferenzen getroffen werden, seien parlamentarisch unzureichend legitimiert, ist nur zum Teil wahr: Die Deutschen können gut damit leben, dass der Bundestag seine Zustimmungsrechte wahrnimmt; dasselbe gilt für Parlamente in anderen Mitgliedstaaten. Schulz hat in seiner Antrittsrede festgestellt, die Bürger seien an institutionellen Debatten nicht interessiert, sondern etwa an Arbeitsplätzen. Wie wahr! Es wäre gut, wenn der neue Präsident der europäischen Vielvölkerversammlung, bei aller Kampfeslust, sich selbst daran hielte. Auch seine Klugheit ist gefragt, um die europäische Krise zu überwinden.