Euro-Gipfel : Montis Morgenstreich
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Monti am frühen Morgen, als er den entscheidenden Treffer erzielt Bild: AFP
Als sich die Bundeskanzlerin am Morgen des Brüsseler EU-Gipfels Ende Juni schlafen legte, glaubte sie, ein gutes Ergebnis ausgehandelt zu haben. Doch als sie aufwachte, sah sie wie die Verliererin des Treffens aus - und war es doch nicht.
Die Geschichte dieses EU-Gipfels beginnt viele tausend Kilometer entfernt von Brüssel. Im mexikanischen Badeort Los Cabos findet in der Woche vor dem Europäischen Rat ein Treffen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer statt. Auf dieser Konferenz der sogenannten G20 tischt der italienische Ministerpräsident Mario Monti eine Idee auf, die es in sich hat. Er verlangt, dass die Europäische Zentralbank automatisch Staatsanleihen in der Eurozone aufkaufen soll, wenn die Zinsen eines Landes eine gewisse Höhe überschreiten; abgesichert werden soll das durch den Hilfsfonds ESM.

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In den Zeitungen wird am nächsten Tag noch nicht jedes Detail dieses Vorschlags stehen, aber den Eingeweihten ist klar: Da braut sich etwas zusammen, das sich massiv gegen die Spar- und Reformpolitik der Bundeskanzlerin richtet. Denn Italien steht nicht kurz vor der Insolvenz, für den Schuldendienst gibt das Land aktuell weniger aus als vor vier Jahren. Nein, Monti will für reformwillige Länder, wozu er sein eigenes zählt, einen niedrigeren Zins - und zwar ohne jene lästigen Auflagen, auf die Angela Merkel seit Beginn der Krise pocht. Und Monti sucht sich Verbündete, um die Kanzlerin unter Druck zu setzen. Der neue französische Präsident François Hollande äußert schon in Los Cabos Zustimmung, ein paar Tage später telefoniert Monti mit Präsident Barack Obama. Dass er versucht, den Amerikaner für seine Sache einzuspannen, ruft in Brüssel Ärger hervor.
In Deutschland schafft es diese Debatte nicht auf die Titelseiten. In den Tagen vor dem Gipfel lässt sich das Land von der Abwehrschlacht der Kanzlerin gegen Eurobonds beruhigen („nicht solange ich lebe“) und nimmt mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis, dass Spanien für seine desolaten Banken nach langem Hin und Her doch einen Hilfsantrag bei der EU stellt. In der Regierungserklärung, die Frau Merkel am Tag vor dem Gipfel im Bundestag vorträgt, verliert sie kein Wort über mögliche weiter gehende Forderungen aus Italien und Spanien. Monti und den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy erwähnt sie nur ein einziges Mal, sie lobt die beiden mit je einem Satz für die Reformen, die sie zu Hause angepackt haben. Die europäische Bankenaufsicht, die sie zwei Tage später zu ihrem Gipfelerfolg erklären wird, kommt irgendwo in der Mitte vor.
Immerhin formuliert sie da einen Satz, der fast wie das spätere Gipfeldokument klingt: „Die Situation in Spanien zeigt, wie wichtig es ist, auch den Bankensektor verstärkt in den Blick zu nehmen und Ansteckungsgefahren zwischen Banken und Staatsfinanzen zu verringern. Zu diesem Zweck brauchen wir eine glaubwürdige europäische Bankenaufsicht, die objektiv agiert und auf nationale Belange keine Rücksicht nimmt.“ Sie fügt hinzu, dass dafür „bald“ die ersten Schritte zu gehen seien. Das klingt nicht so, als sei damit der nächste Abend gemeint. Vielleicht übersieht die Presse deshalb die Passage.