
EU : Welches Europa wollen wir?
- -Aktualisiert am
Bild: dpa
Nach fast drei Jahren Krise sind viele Politiker zu der Auffassung gelangt, dass das Herumdoktern an der Wirtschafts- und Währungsunion so wie bisher nicht reicht. Wie soll es mit Europa weitergehen?
In der Eurokrise ist es zwischen den Mitgliedstaaten bisher fast nur um Geld gegangen - die einen müssen es leihen, die anderen sollen es einsparen. Daran wird sich in den nächsten Jahren nicht allzu viel ändern, denn die Sünden der Vergangenheit lassen sich nicht so schnell abtragen, wie das viele Politiker und Bürger gerne hätten. Jetzt kommt allerdings eine Diskussion hinzu, die darauf zielt, von den Euro-Staaten noch ganz andere, auf Dauer viel einschneidendere Opfer zu verlangen: Sie sollen weitere Souveränitätsrechte nach Brüssel abgeben, vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Unter Führung des Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, wird dazu ein Bericht erarbeitet, der bis Dezember den Staats- und Regierungschefs in der Endfassung vorliegen soll.
Es spricht einiges dafür, dass dieser Bericht nicht in den Archiven verstauben, sondern ein Schlüsseldokument der europäischen Politik der kommenden Jahre wird. Denn viele wichtige Politiker in der EU, die Kanzlerin voran, sind nach fast drei Jahren Krise offensichtlich zu der Auffassung gelangt, dass das Herumdoktern an der Wirtschafts- und Währungsunion so wie bisher nicht reicht. Die Erfahrungen mit „Europäischem Semester“, „Euro-Plus-Pakt“ und diversen anderen neuen Verfahren, die unter dem Druck der Märkte eingeführt wurden, sind ernüchternd: Weder haben sie die Krise beenden können noch scheinen sie geeignet zu sein, eine Wiederholung in der Zukunft zu verhindern.
Das Ergebnis dieser Diskussion lässt sich natürlich nicht vorwegnehmen, sonst brauchte man sie nicht führen. Schon heute zeigen sich aber zwei Hauptstränge, um die es in den nächsten Monaten gehen wird. Der eine dreht sich um die Reparatur der Wirtschafts- und Währungsunion. Das ist ohne Zweifel der unabdingbare Teil der anstehenden Arbeit. Es wäre eine Illusion zu glauben, man könne den Euro nach ein paar Jahren Haushaltssanierung so weiter führen wie bisher. Eine verantwortungslose Haushaltspolitik, die anderen Mitgliedstaaten zur Gefahr wird, darf es in keinem Euroland mehr geben. Auf die Einsicht der Regierungen sollte man da nach den Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre nicht zählen; deshalb wäre es eine gute Idee, die EU mit dem Recht auszustatten, einen extrem unausgeglichenen nationalen Haushalt für ungültig zu erklären.
Auch die einheitliche europäische Bankenaufsicht, an der als erster Teil dieser Reformbemühungen schon gearbeitet wird, ist im Grundsatz sinnvoll - die nationalen Aufseher von Irland bis Spanien haben versagt. Bei allem anderen, von den Löhnen bis zu den Renten, ist Zurückhaltung zu üben, denn einen gesunden Wettbewerb sollte es in der EU schon geben. Forderungen, die Schulden zu vergemeinschaften, werden sicher wieder zu hören sein, sind aber im Moment nicht durchzusetzen.
Dauerschimpfen über „Brüssel“ ist noch keine Europapolitik
Die andere Frage lautet, ob die Reform darüber hinaus zu einem großen institutionellen Sprung nach vorn genutzt werden soll, zur Gründung jener „Politischen Union“, von der immer wieder die Rede ist. Außenminister Westerwelle hat kürzlich ein Papier erarbeiten lassen, das in diese Richtung weist. Von einem direktgewählten Kommissionspräsidenten, einem Europäischen Parlament mit Initiativrecht und einer europäischen Armee ist da die Rede. In Brüssel würden manche noch ehrgeizigere Wunschlisten aufstellen, die auf die Gründung eines Bundesstaats hinausliefen.
Dafür ist aber die Zeit noch nicht reif. Die Bevölkerung in fast allen Eurostaaten ist tief verunsichert; das letzte, was Deutsche wie Griechen derzeit hören wollen, ist, dass ihre Regierung demnächst mehr oder weniger vollständig einem Brüsseler Kabinett unterstellt wird. Die europäische Einigung ist aus gutem Grund langsam vorangeschritten; jede Generation musste sich an die Veränderungen erst gewöhnen. Früher wurde in Europa wegen Zöllen Krieg geführt, heute hat man vergessen, dass es sie je gab. Auch das Vertrauen in die gemeinsame Währung kann zurückkehren, wenn die Krise - endlich - überwunden wird. In der Zwischenzeit lässt sich ohne große Vertragsänderungen einiges tun, um die demokratische Legitimität der EU zu erhöhen. Die Aufstellung von Spitzenkandidaten für die Europawahl, zu der sich die europäischen Parteienfamilien nun durchzuringen scheinen, ist ein solcher Schritt.
Barros: Feld nicht den Skeptikern und Feinden der Integration überlassen
In Deutschland sollte man solche Debatten nicht mehr so passiv verfolgen wie früher. Daumenhalten für die Kanzlerin ist noch keine Europapolitik, ebenso wenig wie Dauerschimpfen über „Brüssel“. Noch fehlt in unserem Land eine breite politische Diskussion darüber, in welchem Europa wir in fünf oder zehn Jahren leben wollen. Dann müssten nämlich auch diejenigen, die meinen, wir könnten ohne Euro und ohne EU so gut leben wie bisher, dem Volk darlegen, wie das eigentlich gehen soll.
Kommissionspräsident Barroso hat den EU-Befürwortern, die in den Eliten fast aller Mitgliedstaaten immer noch die große Mehrheit stellen, kürzlich vorgeworfen, dass sie das öffentliche Feld den Skeptikern und Feinden der Integration überließen. Da hat er nicht ganz unrecht. Egal auf welcher Seite man steht - eine einseitige Debatte ist nie fruchtbar.
