Umfrage zum TTIP : Deutschland ist Schlusslicht
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Demonstration in Berlin gegen das Freihandelsabkommen, Gentechnik und Massentierhaltung am 17.Januar in Berlin Bild: Reuters
Was ist los mit den Deutschen? Das Freihandelsabkommen mit Amerika wird in fast allen europäischen Ländern mehrheitlich unterstützt. Aber hierzulande hat eine Dämonisierungskampagne voll durchgeschlagen. Anmerkungen zu einer neuen Umfrage.
Der amerikanische Präsident ist dafür, die Bundeskanzlerin auch, die Wirtschaft sowieso; die anderen europäischen Regierungen sind dafür, die neue Links-rechts-Kombination in Athen vielleicht ausgenommen: Das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, über das vom Februar an wieder verhandelt wird, könnte also sein, was im Jargon eine „niedrig hängende Frucht“ genannt wird - ein Projekt, das vergleichsweise leicht das Licht der Welt erblicken sollte. Weil so viel dafür spricht, weil es viele mächtige Fürsprecher hat.
Aber der Abbau von Hemmnissen im transatlantischen Handel und die Anregung grenzüberschreitender Investitionen in diesem Raum stoßen ausgerechnet dort auf breiten öffentlichen Widerstand, wo man es nicht vermutet hat: in Deutschland. Somit in dem Land, dass so sehr von der Globalisierung profitiert hat und dessen Wirtschaft viel exportorientierter ist - sprich: abhängiger vom Export ist - als die meisten europäischen Partner.
Deutschland führt die Ablehnungsfront an
Was ist los mit den Deutschen? Spielen sie verrückt? Machen sie wieder mal auf Angst? Eine neue Umfrage, erhoben von dem renommierten Pew Research Center, fördert ein interessantes Bild zutage: Das Freihandelsabkommen mit Amerika wird in fast allen europäischen Ländern unterstützt. 73 Prozent der Polen sind dafür, 71 Prozent der Dänen, 65 Prozent der Briten, 63 Prozent der Spanier und sogar fünfzig Prozent der angeblich so protektionistisch gesinnten Franzosen halten das Abkommen für eine gute Sache; nur in Deutschland, Österreich und in Luxemburg sind die Befürworter eine Minderheit, gibt die Ablehnungsfront den Ton an.
Nur 39 Prozent der Deutschen befürworten momentan ein Vorhaben, das den großen atlantischen Wirtschaftsraum noch stärker integrieren soll. Einer relativen Mehrheit ist der erwartete wirtschaftliche, politische sowie der strategische Nutzen gleichgültig. Im Gegenteil, sie wollen das nicht. Während Regierung und Wirtschaftsverbände erst jetzt langsam in die Gänge kommen, weil sie annahmen, die Sache sei ein Selbstläufer, starteten Nichtregierungsorganisationen ihre Dämonisierungskampagne. Das hat voll durchgeschlagen.
Jetzt glauben die meisten Deutschen, jedenfalls viele, das geplante Abkommen diene lediglich dem Zweck, europäische Standards im Gesundheits- und Umweltschutz auszuhöhlen. Wir sollten von den Amis vergiftet werden und die Unternehmen sollten Rechte bekommen, welche unser demokratisches System faktisch aus den Angeln heben würde. Wie gesagt, in 25 Ländern der EU hegen große Mehrheiten der Leute solche Befürchtungen nicht. Sie erhoffen sich eher Wohlstandsgewinne.
Aber die Deutschen sind wieder im Modus der Hysterie und des Pessimismus. Aus den Profiteuren des Welthandels sind Globalisierungsskeptiker geworden. Und der Anti-Amerikanismus gehört ohnehin zur mentalen Grundausstattung vieler Zeitgenossen; zugenommen hat er obendrein (Stichwort NSA-Affäre).
TTIP ist kein Selbstläufer. Diejenigen, die sich viel davon versprechen - vielleicht versprechen sie sich zu viel davon - sollten endlich die Auseinandersetzung mit den Gegnern und deren oftmals gar nicht so lauteren Argumenten suchen. Und sie sollten das Gespräch mit den Bürgern führen. Denn dass mehr Franzosen für mehr transatlantischen Handel und Investitionen sind als Deutsche, ist eigentlich ein Witz.