EU-Kommission verärgert : Mautirritationen - der Ton wird schärfer
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EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc: „Meine Türen bleiben offen. Wir können über vieles reden.“ Bild: dpa
EU-Verkehrskommissarin Bulc kann sich mit Dobrindts Mautgesetz nicht anfreunden. Als „Hüterin der Verträge“ könne es die Kommission nicht zulassen, dass Deutschland tatsächlich nur Ausländer zur Kasse bitten würde.
Als Violeta Bulc auf den Unmut von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt über das Brüsseler Vorgehen im Streit um die geplante deutsche Pkw-Maut angesprochen wird, reagiert die Slowenin gelassen. Ja, der Ton zwischen Berlin und Brüssel sei etwas „schärfer“ geworden, antwortet die EU-Verkehrskommissarin. Wenige Minuten sind vergangen, seit die Entscheidung der Kommission, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu eröffnen, offiziell bekannt gegeben worden ist.
Etwa zur gleichen Zeit hat Dobrindt in Berlin erklärt, er sei „durchaus verärgert“ über das Vorgehen der Kommission. Im Gespräch mit einer Gruppe deutscher, niederländischer und österreichischer Journalisten sagt Bulc, sie habe Dobrindt zuletzt nicht gesprochen und kenne viele seiner Äußerungen nur aus den Medien.
Dann fügt die frühere slowenische Basketball-Nationalspielerin etwas hinzu, was nach einer Politik der ausgestreckten Hand klingt: „Meine Türen bleiben offen. Wir können über vieles auf technischer und politischer Ebene reden. Wir sind nach wie vor Kollegen, die auf vielen Gebieten gut zusammenarbeiten“. Insofern sei die Entscheidung Dobrindts positiv, die Einführung der Maut mit Rücksicht auf die drohende Klage der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof auf die Zeit nach 2016 zu verschieben.
PKW-Maut : Dobrindt stoppt Maut
Zwei Monate hat die Bundesregierung nun Zeit, sich zu den Brüsseler Einwänden zu äußern. Sollten die Differenzen auch nach einer weiteren von der Kommission gesetzten Frist zur Stellungnahme fortbestehen, würde der Streit vor dem Europäischen Gerichtshof landen. So weit ist es aber noch nicht. Bulc spricht am Donnerstag von „guten Chancen für einen guten konstruktiven Dialog“. Dennoch bleibt sie auf der klassischen Brüsseler Linie. Als „Hüterin der Verträge“ könne es die Kommission nicht zulassen, dass nur Ausländer durch den deutschen Gesetzgeber zur Kasse gebeten würden, während Inländern die Mautgebühren durch die Senkung der Kfz-Steuer in vollem Umfang ausgeglichen werden sollten.
Unverhältnismäßige Gebühren
Auch ein zweiter Aspekt des deutschen Gesetzespakets ist Bulc ein Dorn im Auge: dass die Jahresvignette im Schnitt 74 Euro, die Kurzzeitvignetten je nach Geltungsdauer zwischen fünf und 15 Euro kosten sollen. Auch dies findet die Kommissarin mit Blick auf das EU-Diskriminierungsverbot unverhältnismäßig.
Die Leitlinien der Kommission aus dem Jahr 2012 zur Staffelung von Mautgebühren ermöglichen jedoch einen gewissen Spielraum zur Mehrbelastung von Ausländern. Dies gilt aber nicht für einen vollständigen Ausgleich der Maut für einheimische Fahrzeughalter durch die Absenkung der Kfz-Steuer. Bulc ist nicht die erste Verkehrskommissarin, die kompromisslos auf dem Verbot der Schlechterstellung von Ausländern bei Mautsystemen beharrt.
Streckenabhängige Gebühren notwendig?
Wie kann es aber in der Auseinandersetzung zwischen Brüssel und Berlin weitergehen? Bulc bekräftigt am Donnerstag, dass ein System streckenabhängiger europäischer Gebühren das Ziel sein müsse. „Das ist fair und wird dem Verursacherprinzip gerecht“, sagt die liberale Politikerin.
Sie macht aber keinen Hehl daraus, dass sich ein solches flächendeckendes System in Europa nicht über Nacht verwirklichen lasse. Es gehe darum, nach dem Vorbild der Mobilfunknetze technische Standards zu entwickeln, die eine Erfassung gefahrener Kilometer ermögliche. Im dritten Quartal kommenden Jahres hofft Bulc ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Bis die Standards in die Praxis umgesetzt sind, könnten noch „einige Jahre“ vergehen. Bulc gibt zu bedenken, dass bestehende datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine entsprechende elektronische Erfassung zu überwinden seien.
In der Übergangszeit dürfte es in Europa daher bei der derzeitigen Situation mit einem Nebeneinander von Vignetten-, entfernungsabhängigen Mautsystemen und überwiegend oder ganz gebührenfreien Nutzung wie in Deutschland, Skandinavien, den Beneluxländern oder auf den Britischen Inseln bleiben. Die Vignettensysteme, zum Beispiel in Österreich und Slowenien, sehen vor, dass auch Inländer zur Kasse gebeten werden. Für die entfernungsabhängigen Autobahngebühren in Frankreich, Italien oder Spanien kommen In- und Ausländer gleichermaßen auf.
„Schallende Ohrfeige“ für Dobrindt
Im Europäischen Parlament kann sich Bulc breiter Unterstützung für das gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren sicher sein. Nur in den Reihen der CDU/CSU-Abgeordneten herrscht Zurückhaltung. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Michael Cramer, sieht hingegen „den Anfang vom Ende der ausländerfeindlichen Pläne“ und spricht von einer „schallende Ohrfeige für Alexander Dobrindt“.
Für den verkehrspolitischen Sprecher der Sozialdemokraten, Ismail Ertug, kommt die Verschiebung der Maut einem „Schuldeingeständnis“ gleich. Die liberale Abgeordnete Gesine Meißner nannte die Entscheidung der Kommission „konsequent“. Deutschland sei im Streit um die Maut zur „Lachnummer“ geworden.