EU in der Krise : „Irland könnte eine Zeit lang aussteigen“
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Vom Ergebnis enttäuscht: Außenminister Steinmeier (SPD) Bild: REUTERS
Nach der Ablehnung des EU-Vertrags durch die Iren hat Außenminister Steinmeier einen vorübergehenden Ausstieg Irlands aus dem Integrationsprozess angeregt. Auch der Präsident des Europaparlaments, Pöttering, spricht wieder vom Kerneuropa. Die EU-Erweiterung solle gestoppt werden.
Nach der Ablehnung des EU-Reformvertrags durch die Iren hält Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier einen vorübergehenden Ausstieg Irlands aus dem europäischen Integrationsprozess für eine Möglichkeit. Es müsse nun ein Ausweg aus einer rechtlich nicht einfachen Situation gefunden werden. Dazu könne gehören, dass Irland „für eine Zeit lang“ aus der europäischen Integration aussteige und damit den übrigen EU-Staaten ermögliche, den Reformvertrag in Kraft zu setzen, sagte Steinmeier am Samstag während eines Besuches in China.
Auch der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, brachte die Idee eines Kerneuropas wieder ins Gespräch: „Wir brauchen eine Debatte über die Zukunft Europas. Darin wird der Gedanke eines Europas der zwei Geschwindigkeiten, in dem ein Kern von Mitgliedern voranschreitet, eine Rolle spielen.“ Pöttering sagte, er würde es gleichwohl vorziehen, „dass alle Länder der EU den Weg in eine gemeinsame Zukunft mitgehen“.
Pöttering will EU-Erweiterung aussetzen
Zugleich forderte Pöttering einen vorläufigen Stopp der EU-Erweiterung mit der Ausnahme Kroatiens. Der Zeitung „Bild am Sonntag“ sagte der CDU-Politiker: „So lange der Reformvertrag nicht in Kraft ist, kann es vielleicht mit Ausnahme Kroatiens keinen weiteren Beitritt zur EU geben.“ Das Nein der Iren habe die Europäische Union in eine Krise gestürzt.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nahm unmittelbar nach dem Votum in Irland Krisengespräche mit den Regierungen der Mitgliedstaaten auf. Barroso werde das ganze Wochenende und die kommenden Tage mit den Staats- und Regierungschefs über Auswege beraten, sagte sein Sprecher.
Irland soll unter Zugzwang kommen
Nach dem Nein der Iren wollen die EU-Partner nun Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zerstreuen. So solle es auf dem EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag klare Antworten auf die Sorgen der Bürger wegen der steigenden Öl- und Nahrungsmittelpreise geben, hieß es am Samstag in Brüssel. Teil des Krisenmanagements soll der unter französischem EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr geplante und in Brüssel ebenfalls diskutierte „Einwanderungspakt“ sein. Er soll ein abgestimmtes Vorgehen der Partner in der Migrationspolitik ermöglichen.
Mit Erleichterung wurde in Brüssel vermerkt, dass Großbritannien beim Lissabonner Vertrag - anders als nach dem Nein von Franzosen und Niederländern zum Verfassungsvertrag vor drei Jahren - an der Ratifizierung festhält. Voraussichtlich wird das Oberhaus im Juli zustimmen. Ziel ist es, den bisher in 18 EU-Ländern gebilligten Vertrag rasch durch 26 der 27 Mitgliedstaaten ratifizieren zu lassen und Irland so unter Zugzwang zu setzen. Als möglicher Wackelkandidat gilt allein die Tschechische Republik.
Die meisten EU-Partner favorisieren offenbar, wie bei dem im Herbst 2002 von Irland erst im zweiten Anlauf ratifizierten Vertrag von Nizza, ein zweites Referendum. Dadurch könnte der Lissabonner Vertrag, der Anfang 2009 in Kraft treten sollte, einige Monate später doch noch rechtswirksam werden.
Bei dem Referendum hatten am Donnerstag 53,4 Prozent der Iren gegen den Vertrag gestimmt, nur 46,6 Prozent dafür. Irland hatte als einziger EU-Staat seine Bürger um ihre Meinung gefragt. Der Vertrag sollte die EU auf eine neue Grundlage stellen.