Bootsunglück vor Lampedusa : Europa diskutiert über Umgang mit Migranten
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Sturm und raue See machten Arbeiten an der Unglücksstelle vor Lampedusa schwierig. Bild: AP
Politiker in Italien und Europa fordern neue Gesetze zum Umgang mit Flüchtlingen. Innenminister Friedrich will auch Schlepper härter bestrafen. Im Meer vor Lampedusa werden noch hunderte Tote vermutet. Fischer erheben indes Vorwürfe gegen die Küstenwache, die Rettung behindert zu haben.
Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa hat in Italien und Europa eine Debatte über die Einwanderungsgesetze und den Umgang mit Migranten ausgelöst. Staatspräsident Giorgio Napolitano verlangte neue Gesetze zum Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Andere Politiker machten sich für eine Überarbeitung des restriktiven Gesetzes zu illegaler Einwanderung aus dem Jahr 2002 stark. „Im Licht dieser Tragödie muss das Bossi-Fini-Gesetz noch einmal überprüft werden“, sagte Senatspräsident Pietro Grasso.
Italiens Regierungschef Enrico Letta forderte mehr Unterstützung aus der EU. „Italien muss es schaffen, in Europa Gehör und Verbündete zu finden“, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa. Europa müsse sein Interventions- und Aktionsniveau erhöhen, um zu verhindern, dass sich Tragödien wie die vor Lampedusa wiederholten.
Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault forderte die EU-Staaten zu Diskussionen über die Kontrolle der Seegrenzen auf. Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich so schnell wie möglich treffen, um über die Verwaltung der Grenzen auf See zu diskutieren, sagte der sozialistische Politiker am Samstag am Rande eines Besuchs in der lothringischen Stadt Metz. Mitleid reiche nicht aus. Die EU-Staaten müssten eine Lösung finden, sagte Aurault.
Die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, verlangte bessere Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge in die Europäische Union. „Wir Europäer müssen nicht nur die Herzen und die Geldbeutel offenhalten, sondern auch unsere Grenzen“, sagte Georgieva der „Welt“ (Samstag). „Die EU basiert auf Solidarität. Das bedeutet, dass wir Menschen willkommen heißen müssen, wenn sie unsere Hilfe brauchen.“ Die italienische Parlamentspräsidentin Laura Boldrini appellierte, die Politik gegenüber den Ursprungsländern und den Asylbewerbern zu überdenken. Der Parteichef von Lettas Demokratischer Partei, Giuglielmo Epifani, sagte: „Das Bossi-Fini-Gesetz wurde im Schatten von Emotionen und Angst verabschiedet. Jetzt brauchen wir ein Klima des Willkommens.“ Innenminister Angelino Alfano schloss eine Änderung des umstrittenen Gesetzes jedoch aus. „Leider ist die Frage sehr viel komplizierter“, sagte er.
Hunderte weitere Tote vermutet
Zwei Tage nach dem Unglück mit mehr als 100 Toten die Such- und Bergungsarbeiten am Samstag vor Lampedusa weiter. Die Rettungskräfte wurden zunächst von starkem Wind und schlechtem Wetter behindert, Taucher konnten nicht zu dem Schiffswrack vordringen. Es liegt in etwa 40 Metern Tiefe auf dem Meeresboden vor der Küste. Es wird vermutet, dass noch Hunderte weitere Menschen bei dem Schiffbruch ums Leben gekommen sind.
Fischer legten am Morgen Blumen im Meer ab, um der getöteten Migranten zu gedenken. Bislang konnten 111 Leichen geborgen werden, darunter vier Kinder. Ihr Boot war am Donnerstag vor Lampedusa in Flammen aufgegangen und gekentert.
Vorwürfe gegen die Küstenwache
Ein Zeuge hat nach dem Flüchtlingsdrama vor der italienischen Insel Lampedusa schwere Vorwürfe gegen die Rettungskräfte erhoben. Die Küstenwache habe 45 Minuten gebraucht, bis sie den etwa 500 Meter vor der Küste gelegenen Unglücksort erreicht habe, sagte Marcello Nizza, der am frühen Donnerstagmorgen mit einem Fischerboot in der Nähe des gekenterten Schiffs unterwegs war. Zusammen mit seinen sieben Begleitern kam er den Opfern zur Hilfe. Sie hätten um 6.30 Uhr damit begonnen, die Schiffbrüchigen auf ihr Boot zu ziehen und eine Viertelstunde später die Küstenwache alarmiert, erzählte Nizza. Die Küstenwache wies dies zurück. Der erste Notruf sei um 7.00 Uhr eingegangen, 20 Minuten später seien die Retter vor Ort gewesen.