Barroso-Nachfolge : Auf der Suche nach dem polyglotten Super-Europäer
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Vielsprachig: Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) Bild: dpa
Im Europäischen Parlament hat schon jetzt die Debatte um die Barroso-Nachfolge begonnen. In zwei Jahren wird der Portugiese vermutlich als Präsident der EU-Kommission ausscheiden. Als möglicher Kandidat gilt auch der Deutsche Martin Schulz.
Wenn kein großes Wunder geschieht, dann wird José Manuel Barroso in zwei Jahren als Präsident der Europäischen Kommission ausscheiden. Der 56 Jahre alte Portugiese, der einmal Ministerpräsident seines Landes war, absolviert derzeit seine zweite Amtszeit an der Spitze der EU-Behörde. Theoretisch kann ein Kommissionspräsident alle fünf Jahre wiedergewählt werden.
Aber es ist unwahrscheinlich, dass Barroso nach der nächsten Europawahl im Jahr 2014 genug politische Unterstützung findet. Selbst in seiner eigenen Parteienfamilie sind viele der Meinung, dass es nun genug sei. „Jemanden, der für nichts und alles steht, will ich nicht noch einmal“, sagt Herbert Reul, Vorsitzender der deutschen Europaabgeordneten von CDU und CSU.
Bei der Europawahl wird einiges anders sein
Im Europaparlament hat längst die Debatte darüber begonnen, wer Barrosos Nachfolger werden soll. Denn bei der nächsten Europawahl wird einiges anders sein, nicht nur wegen der Krise. Die europäischen Parteienfamilien wollen diesmal mit Spitzenkandidaten in die Wahl ziehen, die zugleich die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten sind. Für die Verhältnisse der EU ist das eine kleine Revolution. Europawahlen waren bisher rein nationale Abstimmungen, die die Wähler oft nutzten, um ihren Regierungen einen Denkzettel zu verpassen.
Wer Kommissionspräsident wurde, machten nach der Wahl die Staats- und Regierungschefs untereinander aus. Inzwischen gilt aber der Lissabon-Vertrag, der vorschreibt, dass die „Chefs“ bei der Kandidatenkür das Wahlergebnis zu berücksichtigen haben; außerdem muss der Auserwählte vom Parlament bestätigt werden, und das nehmen die Abgeordneten sehr ernst.
Derzeit können sich eigentlich nur zwei Parteienfamilien Chancen ausrechnen, die Wahl zu gewinnen: die Europäische Volkspartei (EVP), in der sich die christlich-demokratischen Parteien zusammengeschlossen haben, und die Sozialdemokraten. Seit langem stellen sie die beiden größten Fraktionen in Straßburg. Im Lager der Sozialdemokraten zeichnet sich auch schon ein Konsenskandidat ab.
Es ist der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz, der derzeit Präsident des Parlaments ist. Ein paar Franzosen haben zwar auch an Martine Aubry gedacht, die scheidende Parteivorsitzende der französischen Sozialisten. Aber da gilt Schulz doch als das stärkere Zugpferd, denn als gestandener Europapolitiker kennt er sich im Brüsseler Geschäft aus. Frau Aubry kann nicht viel mehr vorweisen, als dass sie die Tochter des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors ist. Ende nächsten Jahres soll der sozialdemokratische Kandidat nominiert werden.
Etwas länger ist die Kandidatenliste bei der EVP. Favorit vieler Abgeordneter ist der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, der den Vorteil hat, dass er in seinem Heimatland keine weitere Amtszeit anstrebt. Auf den Straßburger Fluren werden aber auch drei andere Ministerpräsidenten genannt: der Schwede Fredrik Reinfeldt, der Finne Jyrki Katainen und der Lette Valdis Dombrovskis. Und dass die sehr energische und medienpräsente Justizkommissarin Viviane Reding, eine Luxemburgerin, ebenfalls zur Verfügung stünde, würde sie gefragt, ist allen klar. Im Gegensatz zu den vier Herren hat sie allerdings erklärte Gegner. „Die ist von gestern, die kommt mit zu viel alteuropäischem Pathos daher“, sagt ein Abgeordneter.
23 Sprachen, kein Politiker beherrscht alle
Dass das Kandidatenfeld vor allem aus jungen, in heimischen Wahlen erfolgreichen Regierungschefs und einem sehr umtriebigen Parlamentspräsidenten besteht, hat damit zu tun, dass allen Beteiligten klar ist, dass man den Wählern Siegertypen anbieten muss und auf keinen Fall den Anschein erwecken darf, als sollten hier nationale Versorgungsfälle in den Brüsseler Vorruhestand geschickt werden. Ein Albtraum vieler Abgeordneter lautet, dass die Europawahl 2014 zu Festspielen der Nationalisten und Populisten wird, weil die proeuropäischen Wähler zu Hause bleiben. Dem will man mit starken Kandidaten begegnen.
Eine ganz andere Frage ist, wie man einen Wahlkampf in einer Union organisiert, in der formal weiter über nationale Kandidaten abgestimmt wird. Wie dient man dem deutschen Publikum einen Polen an, der noch dazu wie eine Ente heißt? Immerhin könne Tusk Deutsch, sagt ein Abgeordneter.
Würde man in Deutschland Plakate mit dem Gesicht eines europäischen Kandidaten aufhängen, den womöglich niemand kennt? Kann man umgedreht einen deutschen Kandidaten in Griechenland oder Italien überhaupt noch herzeigen? Antworten auf solche Fragen habe derzeit niemand, gesteht ein Abgeordneter, man sei da noch ganz am Anfang.
Das größte Problem dürfte die Verständigung der Kandidaten mit den Wählern sein. 23 Amtssprachen kennt die EU, kein Politiker beherrscht sie alle. Einer wie Martin Schulz hat da noch vergleichsweise gute Karten. Neben seiner Muttersprache kann er Französisch und Englisch; Niederländisch und Italienisch versteht er. Schulz hat sogar einmal auf einem bulgarischen Marktplatz eine Rede gehalten, mit konsekutiver Übersetzung.
Dass der nächste Europawahlkampf über Dolmetscher ausgetragen wird, kann sich ein französischer Abgeordneter aber nicht recht vorstellen: „Bei uns kann einer wie Tusk nicht auftreten, wenn er kein Französisch spricht. Die Leute werden am Ende doch wie immer über ihre nationalen Probleme abstimmen.“