Initiative der EU-Kommission : „Kein Journalist darf sterben, weil er seinen Job macht“
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Maltesische Polizisten im Oktober 2017 am Ort der Ermordung von Daphne Caruana Galizia Bild: AFP
In der EU werden Journalisten zunehmend beleidigt, angegriffen, manchmal sogar getötet. Das ruft jetzt Brüssel auf den Plan – doch noch geht es nur um Maßnahmen, die nicht rechtsverbindlich sind.
Journalisten leben gefährlich – auch in der Europäischen Union, die sich als Hort der Meinungsfreiheit sieht. Allein im vorigen Jahr gab es nach Angaben der EU-Kommission mehr als 900 Angriffe auf Mitarbeiter von Medien in 23 der 27 Mitgliedstaaten Das betraf Attacken auf Personen und deren Besitz ebenso wie Beleidigungen und Bedrohungen im Internet – und zwar nur jene, die aktenkundig wurden. Seit 1992 sind 23 Journalisten in der EU getötet worden, die meisten davon in den vergangenen sechs Jahren.
Nach den Morden an mehreren Investigativjournalisten, angefangen mit Daphne Caruana Galizia in Malta, hat das Thema auch Brüssel erreicht. „Das darf so nicht weitergehen, das darf nicht geschehen. Kein Journalist sollte sterben oder verletzt werden, weil er seinen Job macht“, mahnte die für Werte verantwortliche Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourová, als sie am Donnerstag eine Initiative zum Schutz von Journalisten vorstellte.
Macht es Eindruck auf Orbán?
Demnach sollen die Mitgliedstaaten gefährdeten Journalisten besonderen persönlichen Schutz gewähren. Da jeder dritte Übergriff sich im Rahmen von Demonstrationen ereignet, von Protestierenden und von Sicherheitsorganen, sollen letztere ihr Personal besonders schulen und Verbindungsbeamte stellen. Zunehmend werden Journalisten im Internet bedroht; in einer Studie gaben Dreiviertel der Frauen in diesem Beruf an, sie hätten dies schon erlebt. Die Kommission dringt deshalb darauf, dass Onlineplattformen enger mit Organisationen zusammenarbeiten, die Gewalt gegen Journalisten überwachen.
Zudem sollten sich Journalisten an nationale Cybersicherheitsbehörden wenden können, wenn der Verdacht besteht, dass ihre Telefone oder Computer ausspioniert werden. Zuletzt hatte die israelische Spionagesoftware „Pegasus“ für Aufsehen gesorgt, mit der Politiker und Journalisten jahrelang ausgespäht worden sind, offenbar auch durch die ungarische Regierung. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte in dieser Sache schon am Mittwochabend im EU-Parlament zu strafrechtlichen Ermittlung aufgerufen.
Der Fall zeigt freilich auch die Schwäche der neuen Initiative: Es handelt sich nur um Empfehlungen, die der Rat der Mitgliedstaaten beschließen soll. Sie sind dann zwar politisch bindend, nicht aber rechtlich. „Wir werden die Staaten kontinuierlich unter Druck setzen“, versprach Jourová. Die Umsetzung der Empfehlungen soll 18 Monate nach deren Annahme erstmals überprüft werden. „Naming and shaming“, heißt diese Strategie. Jourová legte dar, dass die Staaten selbst ein Interesse daran hätten, nicht in schlechtem Licht zu erscheinen. Das gilt vielleicht für Malta und die Slowakei; Viktor Orbán dürfte es aber eher nicht beeindrucken.
Das Institut für Medienpluralismus und -freiheit legt in seinem Bericht für 2020 dar, dass in 12 europäischen Staaten ein mittleres Risiko für Angriffe auf Journalisten bestehe. Darunter sind neben Ungarn auch Frankreich, Spanien, Polen, Griechenland und Slowenien. Den slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa hatte Jourová offenbar im Sinn, als sie am Donnerstag sagte: „Es ist nicht akzeptabel, wenn sich politische Führer gewaltsam auf Twitter äußern.“
Entschließungsantrag gegen Polen
Die tschechische Vizepräsidentin hat noch weitere Vorhaben in der Schublade, die sie in den nächsten Monaten vorstellen wird und die dann auch rechtlich verbindlich sein sollen. Dazu gehört ein Verbot von Einschüchterungsklagen, die keinen Aussicht auf Erfolg haben, für die Betroffenen aber mit hohen Kosten verbunden sind. Diese Klagen, mit einem englischen Akronym SLAPP genannt, betreffen auch Journalisten. Allein gegen Caruana Galizia, die zu Korruption in Malta ermittelte, liefen 42 Zivilverfahren, als sie 2017 mit einer Autobombe getötet wurde. Ebenfalls im nächsten Jahr will die EU-Kommission ein Gesetz zur Medienfreiheit vorlegen, das die Unabhängigkeit von Medien und den Meinungspluralismus schützen soll.
Getrieben wird das auch von Versuchen in Polen, immer mehr Medien unter die Kontrolle der Regierung zu bringen. Zuletzt sorgte der Fall des unabhängigen Fernsehsenders TVN24 für Aufsehen, der um seine Lizenz bangen muss. Das Europäische Parlament beklagte diesen Angriff am Donnerstag mit breiter Mehrheit in einem Entschließungsantrag. Es zeigte sich „tief beunruhigt durch die weitere Verschlechterung der Medienfreiheit in Polen und verschiedene Reformen der regierenden Koalition, die Vielfalt und kritische Stimmen in den Medien vermindern“.
Es bezog dies auch auf die Übernahme zahlreicher regionaler und lokaler Zeitungen durch den staatlichen Ölkonzern PKN Orlen. Verurteilt wurden darüber hinaus anhaltende Schmierenkampagnen in öffentlichen Medien gegen Richter, Oppositionspolitiker und Journalisten sowie SLAPP-Verfahren, die von Regierungsstellen und ihnen nahestehenden Personen betrieben würden.