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Kein Kandidatenstatus : Warum die EU Georgien anders behandelt

Georgiens Ministerpräsident Irakli Garibaschwili Mitte Mai in Brüssel bei Ratspräsident Charles Michel Bild: AFP

Gebrochene Vereinbarungen, verfolgte Journalisten und ein mächtiger Strippenzieher im Hintergrund. Der Weg Georgiens in die EU ist lang – doch die meisten Georgier wollen Mitglied werden.

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          Georgiens Ministerpräsiden Irakli Garibaschwili hat die EU gewarnt: Wenn sie eine „ungerechte“ und für „unser Land und unsere Menschen beleidigende Entscheidung“ treffe, werde er „den Vorhang lüften und unserem Volk alles erzählen“. Mit der „ungerechten Entscheidung“ meinte er das, was sich seit Wochen abgezeichnet hat und nun eingetreten ist – Georgien hat im Gegensatz zur Ukraine und Moldau nicht den Status eines EU-Beitrittskandidaten er­halten. Welche Geheimnisse er enthüllen werde, ließ Garibaschwili im Dunkeln.

          Reinhard Veser
          Redakteur in der Politik.

          Aber die erste Reaktion des Vorsitzenden der Regierungspartei „Georgischer Traum“, Irakli Kobachidse, macht schon die Stoßrichtung deutlich: Georgien habe den Kandidatenstatus nicht erhalten, „weil es im Unterschied zur Ukraine und sogar Moldau nicht zu den Opfern bereit war“, die dafür nötig seien. Damit knüpfte Kobachidse an das an, was Politiker und Medien der Regierungspartei den Georgiern seit Wo­chen eintrichtern: Der Westen fordere als Preis für den EU-Kandidatenstatus die Eröffnung einer zweiten Front gegen Russland in Georgien. Doch die Regierung tue alles, um zu vermeiden, dass der Krieg in der Ukraine auf Georgien übergreife.

          Bei einem Teil der Bevölkerung des Landes kommt das an. Georgien hat im Sommer 2008 selbst einen russischen Angriff erlebt, in dessen Folge bis heute russische Truppen nur etwas mehr als vierzig Kilometer von Tiflis entfernt stehen. Gegen die Unterstellungen der georgischen Regierung haben sich in den vergangenen Wochen westliche Di­plomaten in Tiflis verwahrt. Der amerikanische Botschafter ging sogar so weit, der Regierung indirekt die Verbreitung von russischer Desinformation vorzuwerfen.

          Die meisten Georgier wollen in die EU

          Dabei beharrt die Re­gierung offiziell darauf, dass die In­tegration Georgiens in EU und NATO die wichtigsten strategischen Ziele des Landes seien. Das entspricht der Stimmung in der Bevölkerung. In Umfragen sprechen sich seit vielen Jahren zwischen 70 und 80 Prozent der Georgier dafür aus, eine EU-Mitgliedschaft an­zu­streben. Die Verweigerung des Kandidatenstatus ist für die Regierung deshalb ein Problem. Die Entscheidung der EU-Kommission sei „leider richtig“, sagt Giga Bokeria von der Oppositionspartei „Europäisches Georgien“ der F.A.Z. Doch die Botschaft sei auch: „Wir haben eine Chance, wenn wir den Kurs ändern und auf den Weg der De­mokratie zurückkehren.“ Diese Regierung sei dazu jedoch nicht mehr in der Lage.

          Die tatsächlichen Gründe dafür, dass Georgien den Kandidatenstatus nicht erhalten hat, finden sich in den Empfehlungen der EU-Kommission an das Land. Darin wird an erster Stelle gefordert, die politische Polarisierung durch parteiübergreifende Zusammenarbeit „im Geiste des Abkommens vom 19. April“ zu überwinden. Dieses Ab­kommen zwischen Regierung und Op­position in Georgien ist im April vorigen Jahres von EU-Ratspräsident Charles Michel vermittelt worden, der zur Überwindung einer innenpolitischen Krise in Georgien extra nach Tiflis gereist war. Dadurch war der Boykott des Parlaments durch die Oppositionsparteien beendet worden, den diese nach der aus ihrer Sicht unfairen und manipulierten Wahl im Herbst 2020 verkündet hatten.

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