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Versorgungssicherheit : Pfusch am Strommarkt

  • -Aktualisiert am

Da der Wind nicht immer weht, wenn man ihn braucht, wird die Versorgung mit Elektrizität in Zukunft nicht mehr so sicher sein, wie Haushalte und Betriebe es gewohnt sind Bild: dpa

In seltener Eintracht will die Energiewirtschaft im Zuge der Versorgungssicherheit eine neue Förderung für Kraftwerke durchsetzen. Die Politik sollte aber kühlen Kopf bewahren.

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          Die Energiepolitik spielt eine herausgehobene Rolle in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Das Thema wird alleine verhandelt, die Delegationsleiter bekleiden hohe politische Ämter: Peter Altmaier (CDU) ist Bundesumweltminister, Hannelore Kraft (SPD) Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen.

          Die Parteien haben im Wahlkampf versprochen, die Energiewende fortzusetzen, aber die galoppierenden Kosten vor allem für den Ökostromausbau einzufangen. Gelänge dies, wäre schon viel erreicht. Doch die Aufgabenbeschreibung reicht darüber noch weit hinaus, der Stoff reicht für zwei Wahlperioden: Die Energieeffizienz soll verbessert, die europäische Integration vorangetrieben, der Emissionshandel wiederbelebt, der Ausbau der Stromnetze sichergestellt werden – und das alles unter der Voraussetzung einer stabilen Stromversorgung.

          Hier liegt der Hase im Pfeffer. Die Versorgung mit Elektrizität wird in Zukunft nicht mehr so sicher sein, wie Haushalte und Betriebe es gewohnt sind. Die Hinweise stammen einmal nicht aus dem PR-Baukasten einiger weniger Konzernlobbyisten. Die Warnungen gehören zum energiepolitischen Allgemeingut kleiner und großer Stromerzeuger, gleich, ob sie ihre Elektrizität aus Sonne, Wind und Biomasse oder aus der Umwandlung von Kohle, Uran oder Gas gewinnen.

          Ein neuer Griff in die Kassen der Stromkunden

          Grund für die Versorgungunsicherheit ist der schnell wachsende Anteil des Ökostroms. An einigen hundert Stunden im Jahr gibt es davon zu viel, an vielen tausend Stunden nicht genug, um die Nachfrage von Haushalten und Wirtschaft zu decken. Damit aber zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch in kalten, windarmen und sonnenlosen Winterwochen ausreichend Elektrizität zur Verfügung steht, muss es Kraftwerke geben, die unabhängig von der Witterung genug Strom erzeugen, damit das Netz stabil bleibt und kein Fernseher und keine Produktionsstraße abgeschaltet werden müssen.

          Pech nur, dass sich wegen der uneingeschränkten Vorfahrt für den Ökostrom viele andere Kraftwerke nicht mehr rechnen. Übrigens auch die der Kommunen, was die Euphorie der Rekommunalisierer bald dämpfen dürfte. Die meisten Betreiber verdienen mit ihren Anlagen nur noch wenig oder gar kein Geld, neue Kraftwerke werden nicht mehr gebaut. Ohne Kraftwerke gibt es keine Versorgungssicherheit. Wenn das Problem schon bei einem Grünstromanteil von 24 Prozent virulent wird, wie soll das dann erst bei Anteilen von 30 oder 50 Prozent sein?

          Ein neues „Marktdesign“ soll das Problem lösen. Das klingt besser, als es ist. Denn hinter kryptischen Bezeichnungen wie „Kapazitätsmärkten“ oder „Versorgungssicherheitsmärkten“ versteckt sich nur ein neuer Griff in die Kassen der Stromkunden. Zwar unterscheiden sich die Modelle, doch am Ende läuft es auf zusätzliche Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber hinaus. Ob diese auf den Strompreis aufgeschlagen oder als „Anschlussgebühr“ wie früher beim Telefon zusätzlich erhoben werden, ist nur eine Frage der Abrechnungstechnik.

          Es gibt schon zu viel Pfusch

          Schon haben sich die Termini in die Wahlprogramme geschmuggelt, stehen die Stichpunkte auf den Listen der Verhandler. Wundern muss einen das nicht, stehen doch in selten gekannter Eintracht Konzerne und Stadtwerke Hand in Hand, ihre betriebswirtschaftlichen Absichten mühsam als Interesse der Volkswirtschaft an Versorgungssicherheit kaschierend. Sie bilden eine informelle große Koalition der Lobbyisten mit enormem Einfluss auf Union und SPD. So arbeitete die Vorsitzende des Energiewirtschaftsverbands BDEW, Hildegard Müller, früher für Angela Merkel im Kanzleramt; der frühere Präsident des Verbands der kommunalen Unternehmen, Stephan Weil (SPD), ist Ministerpräsident in Niedersachsen.

          Die Politik sollte dennoch kühlen Kopf bewahren. Ist so ein Modell erst einmal installiert, wird es sein Eigenleben entfalten, nachjustiert und verschlimmbessert werden. Das EEG zeigt auf beängstigende Weise, welchen Schaden staatliche Marktinterventionen auslösen können.

          Wenn der Ökostrom für die Versorgung zum Problem wird, dann muss man zunächst dort ansetzen: Der unbedingte Einspeisevorrang muss beseitigt und die Betreiber von Grünstromanlagen sollten verpflichtet werden, für eine möglichst planbare Einspeisung zu sorgen – etwa durch Kooperation mit Wasser- oder Biokraftwerken. „Produce and forget“ war gestern. Geld darf es morgen nur noch für die geben, die ein marktfähiges Produkt anbieten. Das sollte auch für bestehende Anlagen gelten. Das Argument des Vertrauensschutzes wird dann schwach, wenn es nicht ebenso für die Betreiber konventioneller Kraftwerke gilt, deren Abschreibungsbedarf durch jedes Megawatt Ökostrom steigt.

          Dem darf aber nicht dadurch abgeholfen werden, dass diejenigen nun versuchen, sich bei ihren Kunden schadlos zu halten. Immerhin haben die den bestehenden Kraftwerkspark schon einmal mit ihren Stromentgelten finanziert. Es ist zwar verständlich, dass die Betreiber nicht auf Kosten und Verlusten sitzenbleiben wollen. Die Stromkunden dürfen aber nicht zweimal für eine fehlgeleitete und fehlgesteuerte Energiepolitik zur Kasse gebeten werden. Es gibt schon zu viel Pfusch am Strommarkt.

          Andreas Mihm
          Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

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