Elternzeit : Markt und Familie
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Bild: Wohlfahrt, Rainer
Mütter und Väter, die arbeiten wollen, haben nicht die gleichen Interessen wie die Wirtschaft. Sie wollen nicht ununterbrochen verfügbar sein.
Wie schade, dass ich beim Arbeitgeberverband nichts zu sagen habe. Sonst würde ich dem Vorsitzenden, Herrn Hundt, zu Weihnachten gerne mal einen richtig guten Tipp geben: Lieber Herr Hundt, würde ich sagen, haben Sie eigentlich schon mal daran gedacht, eine Verkürzung der Schwangerschaft zu fordern? Neun Monate, das muss doch heutzutage nicht mehr sein. Ohnehin wollen ja alle mit Kaiserschnitt entbinden. Da könnte doch eigentlich nach spätestens 38 Wochen Schluss sein.
Dann ist das Kind fertig und macht es sich da drinnen nur noch unnötig gemütlich. Frauen könnten es zwei Wochen früher zur Welt bringen und zwei Wochen früher wieder arbeiten. Was das für Produktionsgewinne brächte! Allein im vergangenen Jahr wären das in Deutschland 1,3 Millionen Arbeitswochen gewesen. So ein Schwangerschaftsbeschleunigungsgesetz wäre auch ein echter Vorteil im europäischen Wettbewerb: Deutsche Mütter brüten schneller.
Nein, wirklich. Wir leben immer schneller, verdichteter, effektiver. Ein bisschen was ist immer noch drin. Wir haben G8, verkürzte Studienzeiten, und jetzt hat Herr Hundt unlängst eine Verkürzung der Elternzeit gefordert - sobald es genug Krippenplätze gibt. Eltern, so will es die Wirtschaft, sollen nach der Geburt ihres Kindes so schnell wie möglich wieder an die Arbeit gehen. Denn: Alles dauert immer viel zu lange. Familienzeiten, Kinderzeiten, Auszeiten, Krankzeiten. Alles Zeitverschwendung. Wir haben einfach zu viel Zeit, in der nicht gearbeitet wird. Worüber man vielleicht auch noch nachdenken sollte: Wir sterben zu langsam.
Diktat des Ökonomischen
Aber zurück zu den Frauen. Oder besser zum Arbeitsmarkt. Das hängt ja zusammen, denn für den Arbeitsmarkt sind Frauen seit je die beste Stellschraube. Wenn die Männer Krieg führen, gehen die Frauen arbeiten. Wenn die Männer fertig sind mit dem Krieg, gehen die Frauen wieder nach Hause. Wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist, ist die Frauenarbeitslosigkeit noch höher. Wenn der Arbeitsmarkt leergefegt ist, stellen Frauen zu Hause den Besen in die Ecke und gehen ins Büro. Und da sagt die Familienministerin, Familien seien „keine ökonomische Verfügungsmasse“! Es ist ja gut, dass sie das sagt. Bloß stimmen tut es nicht.
Und wie lange wird sie das durchhalten, wenn wieder der globale Wettbewerb und die chinesische Konkurrenz ins Feld geführt werden? Elternzeit, finden die Arbeitgeber, macht es den Frauen schwerer, sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber spricht das gegen Elternzeit? Da kommen einem schon ein paar Fragen: Geht es gar nicht um uns, um die Frauen, die Mütter, Väter, Familien? Waren Krippenausbau und Elterngeld gar nicht dafür gedacht, Frauen, Männern, Familien Wahlfreiheit zu ermöglichen? Ging es bei dem ganzen Gerede über Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Wirklichkeit nur um die Arbeitskraft von Frauen?
Nein, es geht um uns, sollte es jedenfalls. Die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und die Bedürfnisse von Frauen, Ökonomisierung und Gleichberechtigung sind zwei verschiedene Themen. Frauen, die arbeiten wollen, sind keine willenlosen Opfer des Kapitalismus - so wenig, wie Frauen, die sich lieber zu Hause um ihre Kinder kümmern, willenlose Opfer des Patriarchats sind. Und wenn es schon um Opfer geht: Warum beklagt eigentlich niemand, dass Männer - seit Jahrhunderten, seit Menschengedenken - unter dem Diktat des Ökonomischen ihr Dasein fristen?
Zeit und Zuwendung - ohne Rechnung
Mütter und Väter, die arbeiten wollen, haben nicht die gleichen Interessen wie die Wirtschaft - sie wollen nicht ununterbrochen verfügbar sein, sie brauchen mehr arbeitsfreie Zeit, Auszeiten, örtliche und zeitliche Flexibilität. Aber weil sie arbeiten wollen, haben sie auch ein ähnliches Interesse wie die Wirtschaft, und sie wären dumm, sich das nicht zunutze zu machen. Zum Beispiel, indem sie ihre Bedingungen stellen.
Was Eltern nicht nötig haben: mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen ihrer Kinder zu argumentieren, sie als zukünftige Arbeitskräfte und Rentenbeitragszahler zu verkaufen. Wenn wir uns darauf einlassen, dass nur potentiell produktive, leistungsfähige Menschen unserer Aufmerksamkeit, Zeit und Zuwendung wert sind - wie soll dann die Kollegin rechtfertigen, dass sie eine Auszeit braucht, um ihre demente Mutter zu pflegen? Wie eine Familie, dass sie ihr Kind mit Down-Syndrom, das keiner gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung standhält, nicht durch einen Schwangerschaftsabbruch aus der Welt geschafft hat?
Kurz: Wir sollten uns nicht darauf einlassen, dem ökonomischen Anspruch mit ökonomischen Argumenten zu begegnen. Sonst akzeptieren wir, dass es keinen anderen Maßstab gibt. Gut ist, was wir für moralisch richtig halten, und nicht nur, was dem Markt nützt. Es muss Räume geben, die sich seiner Verfügung entziehen. Wäre das schön: die Familie als Ort, an dem es Zeit und Zuwendung im Überfluss gibt - ohne Rechnung.