Klimaschutz nach Anstandsgefühl: Eine „Shelle“ für den Rechtsstaat
- -Aktualisiert am
Shell muss CO2-Emissionen reduzieren. Bild: Reuters
Das niederländische Shell-Urteil mag „innovativ“ sein, doch der Weg, den die Richter beschreiten, ist gefährlich. Mit der Entscheidung steht die Gewissheit in Frage, dass man sich auf geltende Gesetze verlassen kann.
Das Bezirksgericht Den Haag hat am 26.05.2021 die Shell-Konzernmutter zur deutlichen Verringerung der CO2-Emissionen im Konzern verurteilt. Tragender Baustein der Begründung ist Art. 6:162 Abs. 2 des niederländischen Zivilgesetzbuchs: Wer von dem Sozialverhalten abweicht, das nach ungeschriebenem Recht als angemessen anzusehen ist, kann aufgrund dieser Rechtsnorm zu Schadensersatz verurteilt werden, wenn weitere hier uninteressante Voraussetzungen hinzukommen. In deutscher Rechtsterminologie würde man von einer unerlaubten Handlung sprechen. Eine solche Tat habe Shell, so das Gericht, durch Missachtung der Menschenrechte und der UN Guiding Principles on Business and Human Rights begangen. Zwar adressierten erstere Staaten, nicht Unternehmen, und seien letztere nicht rechtsverbindlich, aber zusammen begründeten sie einen Sorgfaltsstandard im Sinne von Art. 6:162.
Das ist kritisiert worden, weil das Gericht damit die Gewaltenteilung aus den Augen verloren habe. Der Weg zu gesellschaftlichen Veränderungen führt in demokratisch verfassten Staaten über den Gesetzgeber, das Parlament. Gerichte und Gerichtsverfahren sind weder dafür gemacht noch dafür ausgestattet. Aber wenn der Gesetzgeber einen offenen Begriff wie „Sorgfalt“ verwendet, beauftragt er die Rechtsprechung nun einmal mit der Konkretisierung, und das Gericht Den Haag wendet eine Rechtsnorm auf einen Einzelfall an. Dass der Einzelfall große Bedeutung hat, ändert daran nichts. Auch an der Kausalität, wie zu lesen war, scheitert eine Verantwortung von Shell eher nicht, anders als in der Klimaklage des peruanischen Bauern gegen RWE. Das Gericht hält fest, dass die Gesamtemissionen aufgrund der Aktivitäten des Shell-Konzerns für den Klimawandel zweifellos Relevanz hätten.
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