Ein Plädoyer für „die Familie“ : Totgesagte leben länger
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Von „Familienglück” profitiert die ganze Gesellschaft Bild: dapd
Ob glücklich oder nicht: Die traditionelle Familie ist lebendig und alternativlos. Und die Gesellschaft ist auf sie angewiesen.
„Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche ist auf ihre Art unglücklich.“ Mit diesem berühmten Satz beginnt Tolstois „Anna Karenina“. Nabokov hat tückisch mit der Verdrehung dieses Satzes seine „Ada“ beginnen lassen und ihn dennoch „einem großen russischen Dichter“ in den Mund gelegt: „Alle glücklichen Familien sind einander mehr oder weniger unähnlich, alle unglücklichen sind mehr oder weniger gleich.“ Wer hat recht, was stimmt?
Die Institution Familie wurde in den letzten fünfzig Jahren mindestens so oft totgesagt wie der Roman, und doch lebt sie und hat einen weit besseren Ruf bei ihren Mitgliedern und Nutznießern, als man nach ihrer schlechten Presse vermuten würde. Glaubt man den Überschriften selbst in konservativen Zeitungen, röcheln Ehe und Familie einem unvermeidlichen Ende entgegen.
Ein Hort der Liebe und der Loyalität
Auch wenn die Familie kleiner ist als in Vorkriegszeiten, weniger vom Muss als vom Mögen zusammengehalten wird, ist sie doch immer noch ein Hort des Herzens und der Liebe, der Verlässlichkeit und der Loyalität. Die ständigen Nachrichten von Scheidungen und Alleinerziehenden lassen vermuten, dass die Familie zerfällt, doch fast drei Viertel aller Kinder wachsen in Deutschland in herkömmlichen Familien auf. Auch wenn die Familien, in denen diese Kinder leben, selten aussehen wie zu Nesthäkchens Zeiten, so bleibt doch die Solidarität, die in ihnen herrscht, ihr auffälligstes Merkmal. Und das macht sie für alle, auch die Jungen, so anziehend.
78 Prozent der Bevölkerung erklärten im „Monitor Familienleben 2010“ des Allensbach Instituts: „Meine Familie ist mir sehr wichtig.“ Von den Müttern fanden das 93 Prozent, von den Vätern 90 Prozent. „Eine intakte Familie und Partnerschaft“ galt Befragten von Emnid als Quelle persönlicher Lebensqualität. Auch die Jüngeren streben laut Allensbach in ihrer Mehrheit eine Familie mit Vater, Mutter und Kindern an. Voraussetzung dafür ist, so meinen die meisten von ihnen, dass sich beide ein Kind wünschen und sich dafür reif genug fühlen.
Verzerrtes Bild in den Medien
Wenn drei Viertel der Kinder unter 18 Jahren bei ihren beiden Eltern aufwachsen, kann man das nicht eine Minderheit nennen. Doch es sind nicht die pünktlichen Züge, die Schlagzeilen machen, sondern die verspäteten und erst recht die entgleisten. Funktionierende Normalität ist medienmäßig gesehen langweilig.
„Familien im Brennpunkt“, eine Art Reality Show im Nachmittagsfernsehen, breitet mit einigem Quotenerfolg Tag für Tag das Elend in kaputten Familien aus. Wer das unvorbereitet betrachtet, kann schon leicht zu dem Schluss kommen, dass er selbst offenbar einer nostalgischen Puppenstubenwelt verhaftet ist, in der nicht pausenlos sexuelle oder fäkalische Flüche ausgetauscht werden, in der Vater, Mutter, Kinder zusammenleben, miteinander reden, streiten, lieben und auch noch miteinander verwandt sind.
Zukunftsmodell Patchworkfamilie?
Aber was ist denn die Alternative zur Familie? Kommunen, ob Land oder Hippie vor dem Bindestrich steht, sind verschwunden. Die Familie ohne Trauschein gibt sich große Mühe, modern zu erscheinen, doch in Zeiten, wo ein nicht ehelich geborenes Kind nicht einmal in Oberschichtsfamilien ein Drama ist, kann man mit der „wilden“ Form der Ehe auch niemanden mehr erschüttern.
Die Patchworkfamilie? Von ihren erwachsenen Schöpfern mit kräftiger Unterstützung fortschrittlicher Frauenmagazine zum Zukunftsmodell hochgejubelt, entpuppt sie sich doch für die unmündigen Mitglieder als schwierig. Was in der intakten Familie Sache der Eltern ist, wird in der Patchworkfamilie den Kindern aufgebürdet. Ständiges Verhandeln, Lavieren, Austarieren kann das Leben sehr anstrengend machen. Zuweilen wird es auch gefährlich. So haben Übergriffe auf nichtverwandte Kinder, nach Aussage vieler Therapeuten, durch die Patchworkfamilie nicht unbeträchtlich zugenommen.