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Ehec-Epidemie : Risiko Lebensmittel

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Es ist ein beachtlicher Erfolg, dass die Sprossen als Erregerquelle und sogar der Herkunftsbetrieb ausfindig gemacht werden konnten Bild: dpa

Seit Jahren sind Informationen über Ehec frei im Internet zugänglich. Doch der jüngste Ausbruch traf die Bevölkerung völlig unvorbereitet. Denn sie nimmt die Debatte über die Risiken, die von Lebensmitteln ausgehen, nicht wahr.

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          Man muss in die Tiefen des Internetauftritts des Robert-Koch-Instituts hinabsteigen und die alten Bulletins lesen, die im elektronischen Archiv des Instituts lagern: Hier werden die Erkenntnisse aus allen Ehec-Ausbrüchen in Deutschland und der Welt regelmäßig zusammengefasst. Mal geht es um Rohmilch, mal um Rinderkeule, dann um Dönerkebab und auch um selbstgekelterten Apfelsaft – und um Sprossen. Die riefen immer wieder Ehec-Krisen hervor, etwa in den neunziger Jahren in Japan und den Vereinigten Staaten.

          Andere Berichte sind nur wenige Klicks entfernt: Jedes Jahr werden mehr als 200 schwerkranke Kinder in Deutschland geboren, weil deren Mütter sich in der Schwangerschaft mit Listerien infiziert hatten – Bakterien, die sich in Lebensmitteln finden, gerne in vorgeschnittenem Salat oder in Rohmilchkäse.

          Seit Jahren sind diese Informationen frei im Internet zugänglich. Sie sind Teil der Risikokommunikation, die zu den Aufgaben von Behörden wie dem Robert-Koch-Institut und dem Bundesinstitut für Risikobewertung gehören. Der jüngste Ehec-Ausbruch traf die Bevölkerung dennoch völlig unvorbereitet. Dass die Infektionswelle eine solche Wucht entfalten, Verbraucherängste bis ins Irrationale steigern und Gemüsemärkte zusammenbrechen lassen konnte, ist Symptom einer schon länger andauernden Entwicklung: Mag die Debatte über die Risiken, die von Lebensmitteln ausgehen, in Fachkreisen noch so lebhaft geführt werden, die Bevölkerung nimmt sie nicht wahr.

          Das unterscheidet die Debatte über Lebensmittelsicherheit von vielen anderen, in denen es um Sicherheit geht – vor allem von dem Streit über die Kernkraft. Dass man in der Hälfte aller Schlachthähnchen den Durchfallerreger Campylobacter gefunden hat oder dass Fachleute beobachten, wie die als getilgt geltende Rindertuberkulose in die Bestände zurückkehrt – all das ist Gesprächsstoff aus der Parallelwelt einiger weniger, auf Lebensmittel spezialisierter Biowissenschaftler.

          Kriminalistisch anmutende Suche

          Diese Risiken werden ausgeblendet, weil der Glaube der Industriegesellschaft an die Sicherheit von Lebensmitteln fast unerschütterlich ist. Jahrzehntelang wurde das Mantra Lebensmittelsicherheit gebetsmühlenartig wiederholt, in Deutschland zuletzt während der Dioxin-Krise Anfang des Jahres. Zutreffender geworden ist es dadurch nicht. Jedes Pfund Mett, jedes Ei, jede Tomate und überhaupt jedes Agrarprodukt birgt in unerhitztem Zustand Risiken – mal ein größeres, mal ein kleineres, aber nie keines.

          Auch jetzt wurde immer nur vor einzelnen Lebensmitteln gewarnt, was viele Menschen dankbar zur Kenntnis nahmen, da sie ihren Lebensstil nicht grundsätzlich in Frage stellen mussten. Während anderer Lebensmittelskandale, etwa im Fall von BSE oder gepanschtem Wein, hat dieses Verfahren auch funktioniert.

          Doch diesmal verschwand hinter Gurken, Tomaten, Salaten und Sprossen die viel wichtigere, vielleicht lebensrettende Information, dass sich Ehec-Erreger grundsätzlich in jedem unerhitzten Lebensmittel befinden können. Damit wurde eine Chance vertan, die Bevölkerung aufzuklären über die Vermeidung von Bakterien und Hygiene in der Küche.

          Es ist trotzdem ein beachtlicher Erfolg, dass schließlich die Sprossen als Erregerquelle und sogar der Herkunftsbetrieb ausfindig gemacht werden konnten. Mehr kann man kaum erwarten, gerade im Vergleich mit früheren Ehec-Ausbrüchen, nach denen häufig nicht einmal das Lebensmittel dingfest gemacht werden konnte, das mit dem Erreger verseucht war. Die kriminalistisch anmutende Suche nach dem Ursprung der Infektionswelle, die man in diesen Tagen verfolgen konnte, hat womöglich einiges zur Ernüchterung der Bevölkerung beigetragen: Sie hat für jedermann sichtbar veranschaulicht, mit welchen Bedingungen die Produktion von Lebensmitteln in industriellem Maßstab einhergeht: Salatkisten im selben Lkw wie Kühe etwa oder Erntehelfer, die ohne sanitäre Anlagen auskommen müssen.

          Mehr Sicherheit gibt es nur mit mehr Wissen

          Der Ehec-Typ Husec 41, der den Ausbruch in Deutschland verursacht hat, stammt höchstwahrscheinlich vom Menschen, zumindest wurde er noch nie beim Rind nachgewiesen. Wenn man das weiß, dann drängt sich die Frage auf, wie Menschen wohl leben und arbeiten müssen, deren Ausscheidungen mit den von ihnen erzeugten Lebensmitteln in Berührung kommen – sei es bei der Erzeugung von Sprossen-Saatgut in Asien oder auf den endlosen Gurken-Plantagen in Spanien. Damit hat die Ehec-Krise das Augenmerk mehr als frühere Skandale auf die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln gelenkt und auf die Frage, ob die Bürger diese Bedingungen akzeptieren dürfen und wollen.

          Wenn eine Lehre aus der Ehec-Epidemie zu ziehen ist, dann ist es die: Eine komplexere, industrialisierte Landwirtschaft sorgt nicht für größere Lebensmittelsicherheit, ebenso wenig wie es kleine Familienbetriebe mit Rohmilchverkostung tun – denn dabei kam es bisher am häufigsten zu Ehec-Infektionen. Mehr Sicherheit gibt es nur mit mehr Wissen, besserer Aufklärung und höherer Bildung. Dazu gehören naturwissenschaftliche Kenntnisse; aber auch Schulunterricht in Hauswirtschaftslehre und Kochen könnte dazu beitragen.

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