Erinnerungskultur : Wie Dresdener Schüler die Diktatur der DDR erleben
- -Aktualisiert am
„Das kann man sich gut vorstellen“
Die Schauspieler Felber und Förster haben diese Erfahrung auch gemacht. Verdrängung möge dabei eine Rolle spielen und auch Scham darüber, in der DDR geschwiegen zu haben. Manchmal sagten Lehrer auch, dass ihnen Szenen zu weit gingen, aber das befeuere im besten Fall die Diskussionen nach der Aufführung. Und die führten die Schüler heute deutlich selbstbewusster als noch vor einiger Zeit. Auffallend sei dabei, dass die DDR und das Thema Ost-West zunehmend in den Hintergrund rückten; stattdessen werde über den Wert der Demokratie diskutiert. Die Klasse 10 d war elektrisiert von der Frage, ob eine Diktatur und mit ihr auch Verhältnisse wie die gezeigten in der Schule wiederkommen könnten.
„Das kann ich mir gut vorstellen“, sagt Ruben. Man müsse sich ja nur mal angucken, was in Dresden los sei. „Unsinn“, widerspricht Teresa. Wenn Lehrer versuchen sollten zu indoktrinieren, würde sich doch jeder dagegen wehren. „Die Schüler haben ihre Meinung und vertreten sie.“ Viele hätten zwar eine Meinung, sagt daraufhin Anja, aber nur die wenigsten trauten sich, sie auch auszusprechen. „Viele von uns wissen doch, was manche Lehrer hören wollen, und dann schlucken sie ihre eigene Meinung runter, um besser dazustehen.“
In der Klasse wird es jetzt laut, viele stimmen zu, andere protestieren, aber Anja setzt noch einen drauf: Auch in der Klasse gebe es Gruppenzwang; wer nicht stark genug sei, schließe sich aus Angst vor Ausgrenzung lieber schnell der Mehrheit an. „Viele von uns sagen ihre Meinung nicht.“ Das sei nicht nur in der Schule so, pflichtet Niklas bei. „Auch im Arbeitsleben wird viel runtergeschluckt.“ Wer seine Meinung allzu offen vertrete, riskiere seinen Job. Das – manche Schüler desillusionierende – Fazit der Diskussion lautet, dass man sich auch in der heutigen Gesellschaft in vielfältiger Form freiwillig anpasst oder anzupassen hat.
Bewältigung der Vergangen und Fragen der Gegenwart
So vermittelt das Stück nicht nur Geschichte, sondern wirft auch Fragen für die Gegenwart auf: Wie verhalten wir uns in der Freiheit? Engagieren wir uns für Demokratie und Gesellschaft? Schweigen wir, wenn Unrecht geschieht? Der verstorbene Berliner Kabarettist Peter Ensikat hat dazu mal gesagt: „In der Demokratie mitzulaufen ist eben nicht mutiger, als in der Diktatur keinen Widerstand geleistet zu haben.“
Anstand und Zivilcourage seien in der Demokratie nicht selbstverständlich, sagt die Lehrerin. Sie macht auch heute den Mund auf, engagiert sich bei Pro Asyl, bei Abgeordnetenwatch und gegen Pegida. Sie gibt ihren Schülern keine Meinung vor, aber sie vermittelt ihnen, dass es wichtig ist, eine Haltung zu haben. Bei vielen Lehrern habe sie das nach der Wende vermisst, sagt sie, als wieder ein „ungeheures Duckmäusertum“ geherrscht habe. Das speiste sich auch aus der Angst, politisch anzuecken, und es traf sich mit dem Willen der in Sachsen seit 1990 regierenden CDU, die nach den Erfahrungen in der DDR nicht nur Politik, sondern politische Bildung überhaupt aus den Schulen fernzuhalten versuchte. Das jedoch führte zu einem eklatanten Mangel an politischer Streit- und Konfliktkultur, der landesweit Folgen hat – und der inzwischen auch in Theatern aufgearbeitet wird.