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Diskussion um Leihmütter : Kind auf Bestellung

Hat die Diskussion angeheizt: der Fall des behinderten Babys Gammy Bild: AFP

Das deutsche Verbot der Leihmutterschaft wird oft umgangen. Dabei wird aber sowohl gegen die Menschenwürde des Kindes und der Leihmutter, als auch der biologischen Eltern verstoßen.

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          Das „Success-Paket“ ist gerade im Sonderangebot. Nur 9900 Euro kostet das Kind - mit Erfolgsgarantie. Bei negativem Ergebnis gibt es das Geld zurück. So steht es auf der Internetseite einer ukrainischen Vermittlungsagentur. Für das Paket „Kind auf den Arm“ muss man schon 29.000 Euro hinlegen. Das Kind als Ware - Hunderte Deutsche greifen jährlich zu. Und wenn das Kind nicht so aussieht, wie man es sich vorgestellt hat, werden Ansprüche auf Gewährleistung geltend gemacht.

          Menschen, die sich ein Kind bestellen, als sei es ein Kleinwagen, erfahren meist Mitleid und Verständnis. Wer ein „Recht auf ein genetisch eigenes Kind“ reklamiert, findet Zustimmung. Die Leute seien eben verzweifelt, heißt es dann. Offenbar erwarten nur noch wenige, dass man sich mit einer Lage abfindet oder die eigenen Wünsche hintanstellt. Schließlich eröffnet die Technik ja neue Möglichkeiten. Auch Behörden und Gerichte eilen kinderlosen Paaren zu Hilfe: Kinder ausländischer Leihmütter erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit; die verbotene Leihmutterschaft wird so durch die Hintertür legalisiert. Ein Plazet kam jüngst von den obersten Hütern der Menschenrechte: Der Europäische Gerichtshof in Straßburg entschied, dass ein Land, das die „Bestelleltern“ nicht als Eltern anerkenne, gegen die Menschenrechte verstoße - nicht etwa umgekehrt.

          Die Solidaritätsbekundungen und Spenden, die eine thailändische Leihmutter nun aus der ganzen Welt bekommt, sind scheinheilig. Der Fall „Gammy“ gelangte durch Zufall an die Öffentlichkeit. Der Arzt in Thailand berichtet, er habe Hunderte ähnlicher Fälle betreut. Wenn man Kinder kaufen kann, ist es dann wirklich überraschend, dass man keine kranken oder behinderten Kinder haben möchte? Nein. Das eine hängt unmittelbar mit dem anderen zusammen.

          Die Leihmutter hat kein Mitspracherecht

          Dass es bei Leihmutterschaft um den Erwerb eines gesunden Kindes geht, ergibt sich ausdrücklich aus den Verträgen: Die Leihmutter muss sich zur Pränataldiagnostik bereit erklären, heißt es in einem Mustervertrag. Wenn es Auffälligkeiten gibt, können die Besteller darauf bestehen, dass der Embryo abgetrieben wird. Die Leihmutter muss den Eingriff akzeptieren. Sie vermietet ihren Bauch - und verliert damit jedes Mitspracherecht. Kommt es zu einer Abtreibung, wird der Leihmutter das Honorar entsprechend der Schwangerschaftsdauer gekürzt. Trägt sie das Kind aber gegen den Willen der Besteller dennoch aus, steht sie allein da. Die Besteller sind zu nichts mehr verpflichtet, noch nicht einmal zur Beteiligung an den Behandlungskosten.

          Leihmutterschaft verstößt gegen die Menschenwürde der Leihmutter, des Kindes und auch der Besteller, selbst wenn die das häufig nicht erkennen. Diese Wertung findet sich auch im deutschen Recht: Leihmutterschaft ist verboten, Verträge über Leihmutterschaft sind sittenwidrig, Vermittlung und ärztliche Betreuung von Leihmüttern stehen unter Strafe. Daran will die Regierung festhalten: CDU, CSU und SPD haben Leihmutterschaft im Koalitionsvertrag ausdrücklich abgelehnt.

          Aber wer schert sich noch darum? Ist der Damm nicht längst gebrochen? Eine abschreckende Wirkung ist nicht zu erkennen. Der Leihmutterschaftstourismus nach Indien, Thailand und Amerika nimmt stetig zu. Vermittlungsagenturen prahlen damit, dass die Zusammenarbeit mit der jeweiligen deutschen Botschaft gut funktioniere. Selbst kritische Artikel sehen sie als Werbung an und verlinken sie auf ihren Internetseiten.

          Ein Kind mit drei Müttern

          Auch die Wissenschaft stellt das Verbot in Deutschland zunehmend in Frage. So schlagen Juristen aus Augsburg und München ein „zeitgemäßes Gesetz Fortpflanzungsmedizin“ vor. Leihmutterschaft solle demnach zulässig sein, weil es keinen Anhaltspunkt gebe, dass das Kindeswohl bei gespaltener Mutterschaft Schaden nehme. Das Verbot der Eizellenspende sei mit rationalen Überlegungen nicht mehr zu begründen. Die Autoren finden nichts falsch daran, dass ein Kind dann drei „Mütter“ haben kann: die genetische Mutter, die die Eizelle spendet, die medizinische Mutter, die das Kind austrägt, und die soziale Mutter, bei der es aufwächst.

          Das Verbot der Leihmutterschaft wird oft im Ausland umgangen
          Das Verbot der Leihmutterschaft wird oft im Ausland umgangen : Bild: dpa

          Politiker überlegen nun, wie sie den Leihmüttern im Ausland helfen können, wenn sie von den Vertragspartnern im Stich gelassen werden. Moralisch ist das nachzuvollziehen. So leicht will man die Bestelleltern nicht aus der Verantwortung entlassen. Doch ein solcher Vorstoß leistet im Ergebnis der verbotenen Leihmutterschaft Vorschub. Ein Vertrag, der gegen die Grundfesten unserer Werteordnung verstößt, wird so auf einem Umweg zur Geltung gebracht. Dass die Frau entschädigt wird, soll das Gewissen beruhigen, etwas jedenfalls. Aber Beruhigung ist genau das Falsche. „Gammy“ wird in Kürze sowieso wieder vergessen sein. Aufklärung muss das Mittel der Wahl sein.

          Manche junge Frau in Thailand und der Ukraine wird sich dann einer anderen Beschäftigung zuwenden. Und kinderlose Paare, ob in Europa oder Australien, werden sich vielleicht des (altmodischen) Wortes „Schicksal“ erinnern. Für den Säugling jedenfalls dürfte ein Leben bei der Mutter in Thailand am Ende wohl die bessere Wahl sein.

          Helene Bubrowski
          Politische Korrespondentin in Berlin.

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